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Weihnachten im Schüßlerhaus (1930er – 1940er Jahre)

                                                                    erzählt von Edelblatt

Der Mittelpunkt der Familie und Angehörigen war das „Schüßlerhaus“, dem Haus von Johann und Anna Schüßler geb. Morhard. Dort spielte sich das halbe Leben ihrer Kinder und Enkelkinder. Nicht nur zum Arbeiten in der Zigarrenfabrik, Wäsche waschen usw. sondern auch mit den Großeltern und Cousins und Cousinen zu spielen und natürlich zu Familienfeiern. Das aufregendste Fest war natürlich das Weihnachtsfest. Schon alleine die Vorbereitungen in der Adventszeit sorgten für Vorfreude und Aufregung, besonders bei den Kindern, dass war damals genauso wie heute, vielleicht noch etwas aufregender. Es wurden Plätzchen und Stollen gebacken und jedes Kind half mit, denn das Christkind sollte ein schönes Geburtstagsfest mit ihnen feiern.

Schauen wir aber erst einmal in das Haus von Balthasar und Paulina Göbel. Paulina Göbel, die älteste Tochter von Johann und Anna, zauberte in ihrem Haus süße Köstlichkeiten für das Fest und ihre Kinder Gertrud und Willi halfen eifrig mit. Da gab es Helenenschnitten mit Kokos, Spritzgebäck mit und ohne Nuss, Buttergebäck, Kokosmakronen und so weiter. Es duftete einfach wunderbar nach Weihnachten. Paulina war überhaupt eine hervorragende Köchin und Bäckerin, das hat sie oft genug unter Beweis gestellt.
Auf wundersamer Weise wurden die Weihnachtsplätzchen in den Dosen immer weniger, trotz des „sicheren“ Verstecks im Kleiderschrank der Eltern. Die Kinder standen im Verdacht heimlich die Plätzchen stibitzt zu haben – aber der Dieb, der als Anführer der Diebesbande galt, hieß Balthasar Göbel und war der Vater der kleinen Naschkatzen. Was sollte man denn da zu denn Kindern sagen? Da musste jetzt einfach nochmal gebacken werden, es half alles nichts.

Die Adventszeit wurde natürlich von den Kindern auch zum Basteln und Malen genutzt um schöne Geschenke für die Eltern und Großeltern unter den Weihnachtsbaum zu legen. Eifrig wurde an den schönen Kunstwerken gearbeitet um anschließend sorgfältig verpackt zu werden und wurden dann gut versteckt.

Weihnachten rückte immer näher und die Wunschzettel wurden fein säuberlich zu Papier gebracht und reich verziert. Abends legte man die Zettel mit einem Stückchen Zucker draußen auf den Fenstersims und legte sich schlafen. Bis zum Morgen waren die Wunschzettel verschwunden und auch der Zucker. Das Christkind oder seine Helfer, die vielen Engel, hatten sie geholt und sich mit dem Zuckerstückchen gestärkt. Gott sei Dank, jetzt konnte das Christkind die Wünsche lesen und bestimmt erfüllen, die meisten jedenfalls.
Alle und alles war vorbereitet, das Fest konnte kommen. Wenn es doch nur schon soweit wäre.

Jetzt fehlte noch Tante Greta und ihre Familie aus Düsseldorf-Benrath. Greta, die zweite Tochter von Johann und Anna, ist nach ihrer Hochzeit mit ihrem Mann Josef Sommer aus Gailbach (heute ein Stadtteil von Aschaffenburg) nach Düsseldorf-Benrath gezogen. Er besaß dort eine Firma für Meßwerkzeuge und war in Düsseldorf Ratsherr. Die beiden kamen kurz vor Weihnachten mit ihren Kindern in Glattbach in einem Auto der Marke Mercedes-Benz an. Die Buben, Heinrich, Leo, Martin und Paul, wurden mit Wärmflaschen und Decken auf die Rückbank gepackt und Proviant wurde mitgenommen und die Reise von Düsseldorf nach Glattbach konnte beginnen. Nach der Ankunft der kleinen Gesellschaft war ein großes Hallo und eine riesige Wiedersehensfreude bei allen miteinander. Müde und hungrig wurden alle versorgt, keiner sollte hungern.
Das Schüßlerhaus füllte sich und die Koffer wurden ausgepackt und für die Glattbacher Kinder waren die Hutschachteln von Tante Greta ein „Ereignis“. Diese Schachteln kannte man zwar auch von der Großmutter, die ihre Hüte ausschließlich in Frankfurt kaufte, aber nicht so viele Hutschachteln. Der Tag der Tage konnte kommen.

Endlich – Heilig Abend.
Am Morgen wurde der Baum geschmückt und Gertrud und Willi durften das Wohnzimmer nicht mehr betreten. Das Wohnzimmer wurde an den Weihnachtsfeiertagen geheizt, sonst sparte man an Heizmaterial  und der Wohnraum blieb kalt. Gertrud und Willi zogen ihre Sonntagskleidung an und auch ihre Eltern putzten sich heraus. Die Familie machte am Nachmittag einen Spaziergang, meistens besuchte man die Gräber von Angehörigen auf dem Friedhof und zündete eine Kerze an. Manchmal konnte die Mutter nicht mit, weil es ja noch soviel vorzubereiten gab. Aber nach dem Spaziergang ging es bald los. Das Christkind war da.
Die Tür, die mit einem großen Tuch schon den ganzen Tag verhüllt war, wurde geöffnet und – oh wie schön, der Baum funkelte und strahlte. Geschmückt mit Kugeln, Lametta und echten Kerzen stand der prachtvolle Weihnachtsbaum im Zimmer und darunter lagen viele der gewünschten und erhofften Geschenke. Gut, dass sich „Babba“ kurz vorher ins Zimmer getraut hatte, um die Balkontüre zu öffnen, sonst kommt das Christkind nicht ins Haus. Schnell wurde ausgepackt und gefreut, dann ging es auch schon zu den Großeltern und all den anderen Verwandten ins Schüßlerhaus.
Dort warteten schon Onkel Julius und Tante Anna mit ihren Kindern Maria und Hermann, Tante Greta und Onkel Josef mit Heinrich, Leo, Martin und Paul und Onkel Gottfried. Johann`s und Anna`s Kinder mit Familien. Gottfried, der jüngste Sohn, war nicht verheiratet und kinderlos. Onkel Adam, Johann`s Bruder, der ebenfalls im Schüßlerhaus wohnte, wurde im 1. Weltkrieg schwer verwundet und war Kriegsversehrter. Johann und seine Frau kümmerten sich um ihn und er wurde von den beiden versorgt. Er war halbseitig gelähmt und meist auf einen Rollstuhl angewiesen. Natürlich war auch er mit dabei. Alle Kinder freuten sich schon auf den Weihnachtsbaum der Großeltern, denn ihre Oma hatte genug Zuckerkringel gebacken und in den Baum gehängt zum Plündern. Welch ein Genuss.
Jeder hatte bereits zuhause zu Abend gegessen, wie Würstchen und Kartoffelsalat, aber vor lauter Aufregung bekamen die Kinder kaum etwas runter. Nicht schlimm, denn es gab ja genug Plätzchen, die die Mütter von zuhause mitgebracht hatte, und die köstlichen Zuckerkringel. Die Erwachsenen tranken dazu einen guten Wein und für die Kinder gab es bestimmt Apfelsaft oder eine Limonade. Für die Herren der Schöpfung gab es außerdem eine gute Zigarre aus der eigenen Herstellung.
Opa Schüßler spielte Klavier und es wurde kräftig ein Weihnachtslied nach dem anderen gesungen. Genug Mitglieder des Männergesangvereins Germania Glattbach waren ja anwesend und Opa Schüßler war ihr Dirigent. Weihnachten das Fest der Feste wurde gemütlich und fröhlich gefeiert. Musik und Gesang spielten bei Schüßlers immer eine ganz große Rolle, Johann spielte Klavier und Geige und Chorgesang war seine Leidenschaft, damit war das musikalische weihnachtliche Repertoire auf das Beste aufgestellt.
Die Kinder spielten mit ihren Geschenken und malten, dabei saßen sie zumeist auf dem Boden. Dort hatten alle Platz.
Beim gemütlichen Beisammensein wurde erzählt und gelacht und dabei wurden die wunderbaren Plätzchen genascht und es wurden die nächsten Weinflaschen aus dem Keller geholt. Es war viel zu selten Weihnachten.

Weihnachtsabend im Schüßlerhaus, 1930iger Jahre. Im Uhrzeigersinn: Willi Göbel, Heinrich Sommer,
Gertrud Göbel, Maria Schüßler und Leo Sommer.

Nachts war Christmette und die Erwachsenen gingen in die Kirche Mariä Himmelfahrt in Glattbach. Jemand blieb bei den Kindern, vielleicht Onkel Adam oder Gottfried. Allerdings war niemand da, um die Kinder vor dem probieren der Neige in den Weingläsern zu hindern. Maria erinnerte sich im hohen Alter nicht mehr daran. Meine Mutter, Gertrud, hat so etwas einmal erzählt. Naja, unter dem Tisch konnte es niemand sehen. Sehr wahrscheinlich haben es alle bemerkt und nur nichts gesagt. Opa Johann lächelte sowieso immer und war sehr nachsichtig und Oma war zwar strenger, konnte aber auch beide Augen zudrücken.

Onkel Gottfried fuhr am 1. oder 2. Weihnachtsfeiertag zum Skifahren in die Berge und kam nach Neujahr wieder zurück. Damals war so etwas noch außergewöhnlich. Er verabschiedete sich von seiner Familie und fuhr mit seinem Auto, einem Opel, los. Seine Mutter, Anna Schüßler, konnte das nicht ganz verstehen, es ist doch Weihnachten.
Die Kinder vergnügten sich bei einer Schneeballschlacht und fuhren Schlitten. Ja, es gab tatsächlich Schnee in der Weihnachtszeit. Die Schlitten wurden sogar hintereinander zusammengebunden und konnten somit Bob fahren. Eine gefragte Strecke war von Johannesberg über die Straße und durch den Wald nach Glattbach, auch durch die Hauptstraße. Heute ein Ding der Unmöglichkeit.

Aber auch die schönste Weihnachtszeit ging zu Ende und die Düsseldorfer Jugend mußte zurück nach Düsseldorf. Sie wurden gebührend verabschiedet und auch alle Koffer und Hutschachteln wurden wieder im Kofferraum des Autos verstaut. Bestimmt waren im Proviantpaket noch ein paar Plätzchen und so gut versorgt konnte die Fahrt mit Wärmflaschen und Decken beginnen.
Schon jetzt freuten sich alle auf die nächste Familienfeier, die bestimmte bald stattfand, denn Johann und Anna Schüßler hatten beide im März Geburtstag.

Die Feste und  Aufenthalte im Schüßlerhaus waren geprägt von den Persönlichkeiten im Haus und hinterließen nur schöne und liebevolle Erinnerungen an diese Zeit. Die Erzählungen der Kinder und Enkelkinder berichten davon.

Vielleicht sollte ich auch einmal Zuckerkringel für den Weihnachtsbaum backen, ich glaube dafür gäbe es Abnehmer.
Das Schüßlerhaus ist für mich bis zum heutigen Tag das Schüßlerhaus. Bis zum Verkauf des Anwesens, in den 1990iger Jahren, durch die 4 Söhne von Tante Greta kümmerte sich meine Mutter um das Nötigste im Haus. Wenn Düsseldorfer Besuch kam sorgte sie für warme Räume, lüftete und stellte den Kühlschrank an. Sie besorgte die beliebte weiße Fleischwurst von der Metzgerei Benno Gumbel, später Gumbel, Inh. E & R Henz GmbH. Geburtstage von Tante Greta oder die Goldene und Diamantene Hochzeit von Greta und Josef bereitete sie im Haus vor. Nach dem Verkauf wurde es von dem neuen Besitzer in ein modernes Wohnhaus verwandelt. Schade. Damit ist die „Seele des Hauses“ gegangen. Aber die Erinnerungen der Töchter und Enkel von Johann und Anna sind geblieben, wie oft wurde von der Familie und dem Schüßlerhaus erzählt. So wurde die Familie und das Haus mit der kleinen Zigarrenfabrik nicht vergessen.

 

Das Schüßlerhaus in Glattbach (mittleres Gebäude), in der Hauptstraße.
Aufnahme von 1904.

 

Quelle Fotos: Heidi Kolb.

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