Nur wenigen Menschen in Aschaffenburg und am bayerischen Untermain dürfte heute noch der Name Rudolf Kempf etwas sagen. Mit der Stadtgeschichte der bayerischen Königszeit vertraute Personen wissen es allerdings: Der 1864 im unterfränkischen Rieneck geborene Kempf war zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Initiator und Gründer einer „Autolenkerschule“, die als erste Fahrschule im Deutschen Reich gilt.
Im Sommer/Herbst des Jahres 1904 erreichte Kempf bei der Regierung von Unterfranken eine Genehmigung für seine Autolenkerschule. Diese wurde Teil des 1901 etablierten „Technikums“, einer privaten technischen (Hoch)Schule für Maschinenbau, Elektronik bzw. Hoch- und Tiefbau. Kempf hatte das Technikum mit erheblicher Unterstützung des Stadtmagistrats gegründet. Zuvor war er 1893 bis 1900 Direktor der staatlichen Baugewerkeschule Augsburg gewesen, die (neben anderen Baugewerkeschulen) als Ausbildungsort für das Kunst- und Bauhandwerk des Königreichs Bayern fungierte.
Das Technikum war in Aschaffenburg an mehreren Standorten untergebracht, unter anderem im (heute aus dem Stadtbild verschwundenen) Bassenheimer Hof in der zentral gelegenen Dalbergstraße. Rudolf Kempf selbst war studierter Architekt – und selbst Automobilist. Bei der Antragstellung für die Autolenkerschule führte er insbesondere die hohe Zahl an Unfällen an, aber auch den Wunsch von Automobilfabrikanten nach Schulungsangeboten, die ihn zur Gründung bewogen hätten. Kempf: Diese Automobillenkerschule soll einen Stamm guter Chauffeure heranbilden, die das beste Mittel zur Verhütung von Unglücksfällen und zur Austreibung von Bedenken gegen das Automobil sind.[1] In die Planung und Antragstellung spielte auch der Gedanke mit hinein, dass ein guter Fahrer (Chauffeur) seinen Dienstherrn für das Automobil begeistern könne, was auch unter anderem die damals erscheinende Allgemeine Automobilzeitung ähnlich sah.
Der Antrag Kempfs hatte Erfolg. Als Unterabteilung der Abteilung für Maschinenbau des Technikums Aschaffenburg bot die Autolenkerschule vom Herbst 1904 an zehnwöchige Kurse. Dem Geist der Zeit entsprechend richtete sich das Angebot nur an erwachsene Männer, die neben einem Lebenslauf auch ein amtliches „Sittenzeugnis“ vorzulegen hatten. Wöchentlich waren 15 Stunden Theorie, 12 Stunden Werkstattübungen und 8 Stunden praktische Fahrübungen zu absolvieren. Alles in allem kamen von 1904 bis 1906 immerhin 12 Gesamtkurse mit über 400 Teilnehmern zusammen. Sonderkurse gab es speziell zur Auto-Reparatur; ein Vermittlungsbüro für den Kauf von Automobilen zeigt, wie geschäftstüchtig Kempf agierte.
Für die Fahrübungen standen mehrere Automobile zur Verfügung. Aus den im Staatsarchiv Würzburg erhaltenen Schülerlisten ergibt sich, dass neben den berufsmäßigen Chauffeuren auch Offiziere, Ärzte, Fabrikanten und andere (wohlhabende) Autobesitzer an den Kursen teilnahmen – hier gerne in wesentlich kürzer gehaltenen „Herrenkursen“. Auch im Ausland erlangte die Autolenkerschule Bekanntheit: unter anderem der König von Griechenland engagierte einen der Absolventen der Schule für sich als Chauffeur.
Doch trotz aller Erfolge: Das Ende der Autolenkerschule bzw. des gesamten Technikums kam schnell: Bereits im Jahr 1906 nahm die Stadt Aschaffenburg die Genehmigung für Rudolf Kempf zurück. Man warf ihm seitens der Stadt und der Kreisregierung unter anderem finanzielle Misswirtschaft und „Renitenz“ gegen Verfügungen vor, ebenso „unsittliches Benehmen“ gegenüber Frauen. Dies führte schließlich zum Entzug der Lizenz für das gesamte Technikum, inklusive der Autolenkerschule.
Kempf zog im Herbst des Jahres 1906 nach Mainz weiter, wo er erneut eine „Automobil-Fachschule“ eröffnete. Diese bestand dort bis zum Jahr 1928. Rudolf Kempf selbst leitete seine Mainzer Fahrschule nur bis ca. 1914; er wohnte später in Hamburg, wo er im Jahr 1926 noch als Grafiker und Architekt nachgewiesen ist. Trotz intensiver Recherchen des Stadt- und Stiftsarchivs ist nicht bekannt, wann und wo Kempf starb.
[1] Rudolf Kempf, zitiert nach: Werner Krämer, Aschaffenburg als Standort der ersten Autolenkerschule in Deutschland, in: Aschaffenburger Jahrbuch 19 (1997), S. 221-232, hier S. 222 (nach Staatsarchiv Würzburg, Regierung von Unterfranken 13380)