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Stammen wir von Glasmachern ab?

Glas aus dem Spessart – über Jahrhunderte war es ein Begriff in den Städten und an den Höfen Europas. Einige Angaben in unserem Familien-Stammbaum ließen mich vermuten, dass unter unseren Vorfahren Glasmacher sein könnten. Mit Hilfe der einschlägigen Literatur (am Ende des Artikels angegeben) ging ich dieser Frage nach. An drei Stellen im Stammbaum fand ich Verbindungen zum Glas.

1. Fund: Fleckenstein-Vorfahren in Jakobsthal

Im 12. Jahrhundert hatten die Grafen von Rieneck Glasmacher im Spessart angesiedelt. Der dichte Wald bot genug Holz zum Befeuern der Schmelzöfen, dazu gab es reichlich Bäche, die Wasser und Sand lieferten, sowie Ton für die Ofensteine und Schmelzgefäße. Auch Beigaben wie Salz, Kupfer und Blei musste man nicht von weither anliefern lassen, sondern bezog sie direkt vor Ort.

1406 – inzwischen war der Bischof von Mainz neuer Landesherr – gaben sich die Glaser eine Zunftordnung, die über territoriale Grenzen hinweg gültig war. Die Ordnung legte fest, dass das Glasmachen nur innerhalb der Familie weitergegeben werden durfte. Sie wurde von 40 Meistern unterschrieben, darunter Fritz und Eberhardt Kunkel, Henne Fleckenstein und insgesamt acht Männer mit dem Nachnamen Wenzel. In den folgenden Jahrhunderten gab es meist bis zu vier Glashütten im „Mainzer“ Spessart. Bekannt wurden die Glaserbrüder Heinrich (+ 1667) und Jakob Fleckenstein (+ 1679), nach deren Hütten die Orte Heinrichsthal und Jakobsthal benannt sind. Sie lieferten Trink- und Fensterglas an die Höfe in Aschaffenburg und Mainz.

Aus ihrem Umfeld scheint meine Ururgroßmutter Eva Katharina Joha, geb. Eich, zu stammen (1844-1914). Sie kam aus Jakobsthal, ihre Mutter Maria Eva Kunkel (geb. 1803) aus Heinrichsthal. Die Eltern von Maria Eva Kunkel waren Johann Michael Fleckenstein (1744-1796) und Anna Maria Wenzel aus Habichsthal. Von Johann Michaels Vater Johann Adam Fleckenstein kenne ich die Lebensdaten nicht. Auch die Kunkel-Vorfahren konnte ich noch nicht erforschen.

Zwischen den Glasmachern Heinrich und Jakob Fleckenstein und den mir bekannten Vorfahren liegt immer noch mindestens eine unerforschte Verwandtschaftsgeneration. Und selbst wenn meine Vorfahren von Glasmachern abstammen, müssen sie nicht unbedingt selbst Glasmacher gewesen sein. Genauso gut können sie aus Nebenzweigen stammen, die sich früh auf Landwirtschaft oder andere Handwerke verlegt hatten. Das Herausfinden von Verwandtschaften aus Kirchenbüchern ist recht zeitintensiv, und ich habe diese Forschung noch nicht abgeschlossen. Aber vielleicht stoße ich ja noch einmal auf einen eindeutigen Hinweis, dass zu den Vorfahren meiner Ururgroßmutter Eva Katharina Eich Glasmacher aus dem Spessart gehörten.

2. Fund: Glaser Conrad Joha in Wernfeld

Eindeutiger ist die Lage beim Stamm-Ahnen meiner Joha-Vorfahren. Conrad Joha in Wernfeld (1630-1708) wird bei der Taufe seines Sohnes Philipp im Jahr 1668 als „Vitriarius“ bezeichnet, bei seinem Tod 1708 als „Orbicularius“. Die lateinischen Berufsbezeichnungen entsprechen am ehesten dem heutigen Beruf „Fensterbauer“. Conrad Joha war also kein Glasmacher, sondern er hat aus fertigen Glasscheiben Fenster hergestellt und in Häuser eingebaut. (Für diesen Hinweis danke ich Dr. Gerrit Himmelsbach).

Conrad Joha wurde am 10.9.1630 in Wernfeld bei Gemünden geboren, wo er am 19.7.1708 verstarb. Er war zweimal verheiratet, in erster Ehe am 26.1.1660 mit Kunigunde Menning, in zweiter Ehe am 14.2.1665 mit Anna Maria Koch in Wernfeld. Sein Sohn Michael (1679-1731) führt das Handwerk des „Fenestrarius“ weiter. Meine Familie stammt allerdings von dessen Bruder Philipp (1668-1729) ab, der offenbar kein Handwerk betrieb.

Aus Quellen bekannt ist außerdem ein Glaser namens Johannes Joha, der 1699 im Lohrer Schloss in einen Ofen fünf neue Glasscheiben einbaute (Loibl 1, S. 273). Dabei könnte es sich um Conrads Sohn aus erster Ehe handeln, der am 11.5.1661 in Wernfeld geboren wurde.

Wernfeld, gelegen an der Mündung der Wern in den Main, wurde im 12. Jahrhundert erstmals erwähnt. Der Ort war bedeutsam als Zollstation und Fährstelle. Ab dem 17. Jahrhundert wurden die Tongruben erschlossen. An das Töpferhandwerk erinnert noch ein Keramikgefäß im Ortswappen. Mit dem Bau der Eisenbahn 1846-1854 hat Wernfeld sich später grundlegend verändert.

Es erscheint ungewöhnlich, dass ein Fensterbauer in so einem kleinen Ort ansässig war. An einem Schloss und an Stadthäusern gab es sicher für Glaser reichlich zu tun, aber besaßen die Bauernhäuser der Spessartregion überhaupt verglaste Fenster? Schließlich war Glas ein teures Gut, und ein hölzerner Laden tat es zur Not auch. Aufschlussreich fand ich einen Bericht, der zwar rund 100 Jahre später entstand, aber wohl auch die Situation zu Conrad Johas Zeit recht gut beschreibt. Ich habe die Rechtschreibung an heutige Gewohnheiten angepasst, damit der Bericht leichter zu lesen ist.

Glaser aus Stadtprozelten berichten 1774 an die kurmainzische Verwaltung, „dass das Glaserhandwerk in hiesigen Gegenden fast von gar keinem Betracht sei, maßen selten ein oder anderes neu Gebäude aufgeführt werde, und sie nur hie und dort ein oder anderes Bauern Fenster zu verfertigen hätten, wozu mehrenteils das alte Glas wiederum verbraucht werden müsse, und sofern jemand eines neuen Glases benötige, so verlangten derselbe auch solches aus der Lohrer Glashütte, indem solches für das beste erkannt worden und noch erkannt werde, sie Glaser nähmen all ihr weniges nötiges Glas von dieser Hütte, welche nur vier Stunden und also ihnen am bequemlichsten gelegen wäre, welches Glas sie mit viel geringeren Kosten auf dem Rücken anhero tragen könnten, folglich sie bei dieser Lohrer Glashütte verbleiben wollten.“ (nach Loibl 1, S. 507)

Aus diesem Bericht erfahren wir mehrere Dinge:

  • Glaser haben auf dem Land wenig zu tun
  • Beim Fensterbau wird das alte Glas wiederverwendet
  • Neues Glas wird direkt bei der Glashütte gekauft und auf dem Rücken transportiert
  • Vier Stunden Wandern ist für einen Handwerker der Zeit ein akzeptabler Weg

Wissen sollte man zudem noch, dass Fenster damals aus mehreren kleinen, runden, rautenförmigen oder sechseckigen Scheiben bestanden, die mit Blei zusammengelötet und dann gerahmt wurden. Glaswaren wurden mit Stroh in hohen Kiepen bruchsicher verpackt und dann auf dem Rücken oder per Esel transportiert. (Grimm S. 242 ff.)

Zu Conrad Johas Berufszeit waren mehrere Glashütten in Betrieb. Heinrichsthal (1636-1700) und Jakobsthal (1639-1686), Reichengrund bei Partenstein (1646-ca. 1662), Ruppertshütten (1664-1722), und später noch Rechtenbach (1688-1696).

Ruppertshütten, Partenstein und Rechtenbach kann man von Wernfeld aus zu Fuß in 4 bis 5 Stunden erreichen. Es ist also durchaus vorstellbar, dass Conrad Joha dort Fensterglas einkaufte. Vielleicht sammelte er schon auf dem Hinweg über die Dörfer die Aufträge ein und arbeitete sie dann auf dem Rückweg ab? Möglicherweise nahm er auch die älteren Kinder mit, damit sie tragen helfen und ihm zur Hand gehen konnten? Das würde bedeuten, dass die Joha-Familie sich in der Gegend gut auskannte und mit vielen Familien vernetzt war. So lässt es sich vielleicht auch erklären, dass Philipp nach Ansbach heiratete – ein weiterer Ort, der rund vier Stunden zu Fuß von Wernfeld entfernt war.

3. Fund: Amrhein-Vorfahren in Weibersbrunn

Um 1670 begann in der Glasproduktion eine Zeit der technischen Neuerungen. Eine Führungsposition übernahm Frankreich, wo König Ludwig XIV. seit 1668 eine neue Residenz in Versailles errichten ließ. 1678-1684 entstand als Höhepunkt die Spiegelgalerie. Dafür hatte der französische Staat eine Glasmanufaktur eingerichtet. Viele Herrscher des 17. und 18. Jahrhunderts bauten in der Folge ihr eigenes Versailles. Diesem Ehrgeiz verdanken wir zum Beispiel die Würzburger Residenz und das Mainzer Schloss – und die Spiegelmanufaktur in Lohr.

1698 schloss der Mainzer Kurfürst Lothar Franz von Schönborn mit drei französischen Fachleuten den Vertrag über die Errichtung einer Spiegelmanufaktur. Waren die bisherigen Glashütten unabhängige Handwerksbetriebe, so trat nun der Staat als Unternehmer auf. Die Mitarbeiter bekamen ein Gehalt und konnten nach Bedarf eingestellt und entlassen werden. Die Spiegelmanufaktur hatte drei Standorte: Die ehemalige private Glashütte in Rechtenbach bei Lohr stellte das Flachglas für die Spiegel her, die weiteren Arbeitsschritte übernahm die Manufaktur in Lohr. Zusätzlich wurde 1705 in Weibersbrunn eine Manufaktur zur Herstellung für Mondglas eingerichtet. Um Konkurrenz auszuschalten, wurden 1719 die traditionellen Glashütten verboten.

Dass der Mainzer Staat die Glasherstellung monopolisierte, hat auch Auswirkung für die Familienforschung. Vorher waren die Glasmacher privilegierte Handwerker, die sich nur untereinander verheirateten. So entstand ein eng vernetztes Familiengefüge mit wenigen Nachnamen. Für die Glasmanufakturen wurden Experten aus Frankreich geholt, sodass nun französische Familiennamen wie Herteux und Brument im Spessart auftauchten. Außerdem gab es erstmals die Möglichkeit, als Neuling in den Beruf einzusteigen und sich vom Hilfsarbeiter zum Experten hochzuarbeiten. So kamen neue Nachnamen mit dem Glasmachen in Verbindung. Dazu gehört der Name Amrhein aus Frammersbach.

Die Arbeitsteilung in der Manufaktur führte zu einer Vielzahl von Berufen. Dem Hüttenmeister unterstellt waren Fertigmacher, Vorblaser, Anfänger, Pontillon, Hüttenjungen, Strecker, Spiegelhalter, Glaser, Frittmacher, Schürer, Holzmesser, Holzführer, Maurer, Spiegelbrenner, Stampfmüller, Glasführer, Pottaschensieder, Hüttenschmiede und Holzhauer. Ein Teil von ihnen hatte direkt mit dem Glas zu tun, andere kümmerten sich um den Bau den Betrieb der Öfen, das Feuerholz und das Werkzeug.

Ab etwa 1714 war Caspar Amrhein der Hüttenmeister in Weibersbrunn. Seine Herkunft ist nicht näher erforscht. Er wohnte mit seiner Familie im Hüttenmeisterhaus, zu dem eine große Scheune und ein Garten gehörten. Laut einer Gehaltsliste bekam er 1734 einen Monatslohn von 33 Gulden. Dieser Monatslohn kann als Vergleich für die Gehälter der anderen Angestellten dienen. (Loibl 2 S. 835)

Es gab noch eine zweite Familie Amrhein in Weibersbrunn, und über diese sind drei Tatsachen belegt: Vater Friedrich Amrhein stammte aus Frammersbach, er war gelernter Bäcker, und er ist der Stammvater meiner Amrhein-Vorfahren. 1717 wird er mit zwei Familienmitgliedern in Weibersbrunn aufgeführt. Während er selbst dem Bäckerhandwerk treu blieb, fanden einige seiner Söhne und Enkel Beschäftigung in der Mondglasmanufaktur. (Loibl 2 S. 835f.)

Der Bäcker Friedrich Amrhein (gest. 19.5.1728) und seine Frau Maria (gest. 2.9.1738) haben mehrere Kinder. Die Tochter Magdalene Amrhein heiratete am 13 November 1714 in Rothenbuch den Johann Adam Krauth (gest. 9.11.1758). Es war die erste Eheschließung, die dort für Weibersbrunn vollzogen wurde. Beide Eheleute stammten aus Frammersbach. Krauth erhielt 1734 einen Monatslohn von 20 Gulden in der Mondglasmanufaktur. Die Familie hatte mindestens zehn Kinder, ein Sohn und neun Töchter. Das siebte Kind war Maria Katharina Krauth, geboren am 19.8.1728.

Johann jr. Amrhein war ein jüngerer Bruder von Magdalena. Auch er stand 1734 auf der Gehaltsliste der Mondglasmanufaktur, wo er einen Monatslohn von 16 Gulden erhielt. Er heiratete am 6. Mai 1720 seine Braut Maria Catharina Adam nicht in Rothenbuch, sondern in der Kapuzinerkirche in Aschaffenburg. Die Kapuzinerkirche diente häufig als Alternative, wenn etwas gegen die Heirat im eigenen Dorf sprach – etwa, weil die Braut schon allzu sichtbar schwanger war. Das dürfte hier zutreffen, wurde doch die erste Tochter schon vier Monate später geboren. Aus dieser Ehe sind acht Kinder bekannt, darunter Michael Amrhein, geboren am 26. März 1729.

Michael Amrhein wurde am 27. Juli 1765, also im Alter von 36 Jahren, als „Vorblaser“ und „Fertigmacher“ der Mondglasmanufaktur vereidigt. Damit nahm er eine leitende Position innerhalb der Manufaktur ein. Dafür spricht auch, dass er im gleichen Jahr als Gehaltsbonus 306 sechseckige Scheiben für die Fenster seines Hauses in Weibersbrunn erhielt, die höchste Anzahl unter allen Angestellten. 1787, mit 58 Jahren, erhielt er als Fertigmacher im Ruhestand noch 9 Gulden monatlich als „Gnadengehalt“. Im Einwohnerverzeichnis von 1794 steht, dass er selbst nicht mehr arbeitsfähig sei, aber zwei arbeitsfähige Söhne habe. Sie stammen aus der Ehe mit seiner Cousine Maria Katharina Krauth, die er am 21. Juni 1751 in Gailbach geheiratet hatte. Am 1. Januar 1799 starb Michael Amrhein in Weibersbrunn. (Loibl 2 S. 842)

Hier kommen wir nun an eine Stelle, die ich noch nicht zu Ende recherchiert habe. Wer die beiden „arbeitsfähigen Söhne“ von Michael Amrhein waren, weiß ich nämlich nicht. Im Buch von Loibl sind nur zwei Töchter vermerkt, Anna Maria (geb. 21.12.1755) und Maria Eva (6.4.1758). Herausgefunden habe ich aber, dass mein Vorfahr Johann Adam Amrhein (31.5.1766-21.10.1831) ihr kleiner Bruder gewesen sein muss. Sein Geburtseintrag im Kirchenbuch von Weibersbrunn nennt als Vater den „operarius“ Michael Amrhein, als Mutter dessen Ehefrau Catharina. Sie war bei der Geburt 38 Jahre alt.

Ende

Die Glasmachertradition des Spessarts endet, als im 19. Jahrhundert die Industrialisierung beginnt. Für die neuen Fabriken sind Eisenbahnanschluss und Hafen wichtiger als die Nähe zu den Rohstoffen. Der Spessart, über Jahrhunderte eine prosperierende Landschaft, wird abgehängt und verarmt. Meine Vorfahren haben diese Entwicklung mitgemacht. Um 1900 ziehen sie nach Aschaffenburg, wo es Arbeitsplätze gibt – und hier sind meine Großeltern, Eltern und ich geboren.

Literatur

Loibl, Werner. Die kurmainzische Spiegelmanufaktur Lohr am Main (1698-1806) Studien zur Geschichte des Spessartglases 3-5. Aschaffenburg: 2012

  • Band 1: Die kurmainzische Spiegelmanufaktur Lohr am Main (1698-1806) im Rahmen der allgemeinen Geschichte.
  • Band 2: Der Regiebetrieb der kurmainzischen Spiegelmanufaktur Lohr am Main.
  • Band 3: Die Zweig- und Nachfolgebetriebe der kurmainzischen Spiegelmanufaktur im Spessart.

Flachenecker/Himmelsbach/Steppuhn (Hrsg.). Glashüttenlandschaft Europa. Beiträge zum 3. Internationalen Glassymposium. Historische Studien der Universität Würzburg 8. Regensburg: 2008

Grimm, Claus (Hrsg.). Glück und Glas – Zur Kulturgeschichte des Spessartglases. Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur 2. München: 1984

Krimm, Stefan. Die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Glashütten im Spessart. Veröffentlichungen des Geschichts- und Kunstvereins Aschaffenburg 18,1. Neustadt an der Aisch: 1982

 

 

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