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Fährerfamilien aus Stockstadt am Main

Dieser Artikel wurde verfasst von Dr. Sibylle Nagel und Christiane Back, Ur-Ur-Enkelinnen der Fährerfamilie Bauer.

120 Jahre ist es am 12. Februar 2023 her, dass Anton Bauer aus Stockstadt am Main die Genehmigung für eine Hochseilfähre zwischen Stockstadt und Mainaschaff erhielt. Diese Fähre beförderte nicht nur die Arbeiter der 1898 errichteten Aschaffenburger Zellstoff-Fabrik und weitere Personen aus den Gemeinden Mainaschaff und Kleinostheim – jenseits des Mains gelegen – an ihren Arbeitsplatz. Sie war zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch die einzige Möglichkeit für Fuhrwerke, den Main an dieser Stelle zu überqueren. Denn die seit 1854 existierende Brücke hatte weder einen Fußgängersteg noch eine Fahrspur. Sie war eine reine Eisenbahnbrücke. Siehe Aufnahme der Zellstofffabrik Stockstadt am Main.

Dass Fuhrwerke die Fähre rege nutzten, erkennt man an den Fahrspuren auf einem der beigefügten Bilder. Im Hintergrund darauf zu sehen ist die Eisenbahnbrücke mit Zugverkehr. Siehe Aufnahme der Eisenbahnbrücke und Fähre bei Stockstadt am Main.

Auf einer alten Postkarte sieht man – hinter der Eisenbahnbrücke gelegen – deutlich die Einbuchtung des Mains an der Fährgasse, von wo aus die Fähre startete. Rechts landete sie an einem Weg, der nach Rechtsbiegung in Richtung Mainaschaff führte. Im Vordergrund sind die Zellstofffabrik und der alte Stockstädter Friedhof zu sehen. Siehe Luftbild der Gemeinde mit Zellstofffabrik, altem Friedhof und Mainbrücke.

Die Auffahrt auf die Fähre war breit genug, um Fuhrwerke befördern. Regelmäßig wurde sie von Personen genutzt. Der Unterstand in der Mitte der Fähre diente vermutlich dem Schutz der Fährleute oder der Unterbringung von Gerätschaften. Siehe Aufnahmen der Fähre bei der Überfahrt.

Nachdem die Mainbrücke durch Bombardements der amerikanischen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war, blieb die Fähre weiterhin im Gebrauch. Erst nach dem Bau einer neuen Brücke mit Fußgängersteg und der neuen Autobahnbrücke verlor sie ihre Bedeutung. Der Fährbetrieb wurde nach 52 Jahren am 14 Oktober 1955 eingestellt.

Fährerfamilie Anton und Maria Anna Bauer

Unser Ur-Ur-Großvater Anton Bauer, der am 7 Mai 1847 als Sohn des Jakob Bauer und der Anna Maria Depp in Stockstadt geboren worden war, war selbst Arbeiter in der Zellstofffabrik, als er beschloss, den Fährdienst zwischen Stockstadt und Mainaschaff einzurichten. Im Februar 1870 hatte er die Ehe mit Maria Anna Zang geschlossen, der am 30 Juni 1845 geborenen Tochter des Heinrich Zang und der Maria Anna Bauer. Das Ehepaar hat sich glücklicherweise fotografisch ablichten lassen, das Foto befindet sich im Besitz der Familie.

Anton Bauer und Maria Anna Zang hatten fünf Kinder.

  1. Edmund, der älteste Sohn, wurde am 17 März 1872 geboren, er heiratete Elisabeth Herzog aus Kleinostheim. Edmund zeugte elf eheliche und ein außereheliches Kind. Alle ehelich geborenen Söhne fielen während des Kriegs in Russland und Frankreich, nur der außerehelich geborene Anton überlebte. Von Beruf war Edmund Landwirt und auch Fabrikarbeiter, er starb am 28 Oktober 1935 in Stockstadt. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs lebten noch drei verheiratete Töchter und drei Schwiegertöchter. Das beigefügte Foto zeigt die Familie, es dürfte Mitte der 1920-er Jahre aufgenommen worden sein.
  2. Margaretha, die einzige Tochter der Fährerfamilie, kam am 9 März 1874 zur Welt und starb am 24 März 1960. Sie war mit dem Maurer Matthäus Zang (1871-1942) verheiratet und hatte zwei Kinder: Tochter Anna Maria (1900-1989) heiratete Kilian Holzapfel (1890-1952), Sohn Bernhard Zang (1903-1974) gründete die Metzgerei Zang in der Obernburger Straße.
  3. Reinhard, der Drittgeborene vom 17 September 1875, übernahm später vom Vater die Fähre. Dazu im Folgenden mehr.
  4. Emanuel, das vierte Kind, lebte nur knapp einen Monat (9 Oktober 1877 bis 6 November 1877).
  5. Lorenz, der letztgeborene Sohn, wurde siebeneinhalb Jahre alt (13 August 1881 bis 16 Februar 1889).

Reinhard Bauer, das dritte Kind und der zweite Sohn des Fährmanns Anton Bauer, trug den Namen seines Paten und Onkels mütterlicherseits (Reinhard Zang, der später nach Amerika auswanderte und sich in New York niederließ). Reinhard übernahm die Fähre von seinem Vater Anton und führte das Unternehmen fort. Glück war ihm jedoch nicht beschieden. Die Geschichte der Familie Reinhard Bauer aus der Fahrgasse war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Todesfällen überschattet.

  • 1901-1907: Reinhards erste Ehefrau Maria Anna Werner – am 15 August 1875 geboren – brachte sechs Kinder zur Welt, von denen vier bereits im Baby- und Kleinkindalter in den Jahren 1901, 1903, 1906 und 1907 starben.
  • 1905: Der aus Amerika zum Heimatbesuch gekommene Onkel Reinhard Zang starb im Heimatort und vermutlich im Haus der Familie in der Fahrgasse an Tuberkulose.
  • 1909: Als des Fährmanns Ehefrau Maria Anna, geborene Werner, kurz vor ihrem 34. Geburtstag im August 1909 verstarb, blieb Reinhard Bauer mit zwei Kindern im Alter von knapp acht und viereinhalb Jahren zurück.
  • 1918: Am 6 Oktober 1918 starb Reinhards Mutter Maria Anna Bauer, geborene Zang.
  • 1924: Bernhard Bauer, der älteste Sohn des Reinhard, geboren am 16 Dezember 1901, wurde nur 23 Jahre alt. Am 18 Dezember 1924 geschah bei der Übersetzung der Stockstädter Feuerwehr zu einem Brand in Kleinostheim ein schrecklicher Unfall. Die Pferde scheuten und Bernhard wurde so schwer verletzt, dass er starb.
  • 1925: Nur zwei Monate nach Bernhard verschied der erste Ehemann von Reinhards Schwester Margaretha am 25 Februar 1925 in Aschaffenburg. Margaretha blieb mit dem wenige Monate alten Rudolf (1924-1945) zurück. Sie heiratete 1929 den Witwer Anton Scheuermann aus Kleinostheim, der später die Fähre ihres Vaters Reinhard übernahm.
  • 1931: Reinhard, der im September 1910 und nach Ablauf des Trauerjahrs erneut geheiratet hatte (Rosa Gstöttl aus dem Passauer Land, 1877-1962) verunglückte im Alter von nur 55 Jahren wie sein Sohn Bernhard auf der Fähre. Er wurde von einem Mühlfuhrwerk überfahren und starb am 31 März 1931 im Aschaffenburger Krankenhaus.
  • 1931: Im gleichen Jahr – am 24 August 1931 – starb dann auch Reinhards Vater Anton Bauer im Alter von 84 Jahren.
  • 1945: Reinhards Enkel Rudolf, ein Sohn seiner Tochter Margaretha aus deren erster Ehe, fiel als Soldat in Russland im März 1945.

Fährfamilie Anton und Margaretha Scheuermann

Nach vielen Todes- und Unglücksfällen übernahm schließlich der zweite Ehemann der Margaretha Bauer (Reinhards Tochter) namens Anton Scheuermann den Fährbetrieb. Er stammte aus Kleinostheim, wo er am 16 September 1898 zur Welt gekommen war. Anton Scheuermann wurde 70 Jahre alt. Margaretha, seine Ehefrau, wurde 89 Jahre alt. Das Ehepaar hatte zwei Kinder – die Zwillinge Rosamunde und Theobald Josef, die am 21 Februar 1930 geboren wurden. Sie dürften sich noch lebhaft an den Fährbetrieb erinnert haben. Beide waren in Stockstadt verheiratet und erlebten die Einstellung des Fährbetriebs im Jahr 1955 mit.

Generationale Erinnerungen

Unsere eigene Erinnerung reicht über die Erzählungen der Kinder und Enkel unserer Ururgroßeltern weit in die Vergangenheit hinein. Über mehrere Generationen hinweg wurde das Wissen um Charaktereigenschaften und über Besonderheiten der Familien und Verwandtschaftsverhältnisse überliefert. Eine gründliche Erforschung der Lebensdaten bot uns Einblick in die zeitlichen Abläufe.

Uns eingerechnet, sprechen wir von immerhin fünf Generationen. Und wir fragen uns, ob auch unsere Ururgroßmutter Maria Anna Zang so weit zurückdenken konnte und so viel über ihre Vorfahren wusste? Wir vermuten es, gab es doch einige interessante Fakten in der Familiengeschichte. So stammte beispielsweise ihr Urgroßvater aus Sailauf. Und sie hatte eine Ur- und eine Ururgroßmutter aus der hugenottischen Walkmüllerfamilie Du Bois (nun Debor), die um 1725 aus dem hugenottischen Hanau zugezogen und in Stockstadt zum katholischen Glauben konvertiert war. Auch unser Ururgroßvater Anton Bauer, der Fährer und Maria Annas Ehemann, dürfte etwas zu erzählen gehabt haben. Seine Großmutter väterlicherseits stammte aus einer Winzerfamilie in Geisenheim.

Bedauerlich, dass es aus dem 17. und 18. Jahrhundert außer den Kirchenbüchern kaum schriftliche Familienerzählungen oder Überlieferungen zu Erfahrungen der Vorfahren gibt. Aus den Daten ließ sich aber doch einiges ableiten, und so beschlossen wir, diese Informationen zusammenzutragen und für die Nachwelt zu erhalten.

Quellenangaben:
Kirchenbücher der Pfarrei Stockstadt am Main

Bildnachweise:
Familienfotos: In Privatbesitz

Fähre und Zellstofffabrik: Zur Verfügung gestellt von Gottfried Schüßler (+), Heimat- und Geschichtsverein Stockstadt am Main

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