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Abhandlung über die jüdische Familie Solinger-Strauss

Wie lebten die Mitglieder der Familie Solinger vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten mit ihren zahlreichen Familienzweigen mitten unter uns in Aschaffenburg, wie erging es ihnen nach 1933?
Wie konnte die kleine Familie Strauss mit ihren zwei jungen Töchtern es noch im Mai 1941 schaffen von Aschaffenburg nach New York auszureisen?

Es gibt sie noch – die so wichtigen Zeitzeugen, die uns bis heute authentisch von ihren eigenen bewegenden Erlebnissen erzählen können. Wohl nicht mehr allzu lange…

„Sicherlich hören Sie öfters: Schon genug, man muß das vergessen!“

Dies schrieb mir Helen Feingold in ihrem ersten Brief im Jahr 1994. Helen Feingold, geborene Strauss, aus Aschaffenburg ist nämlich solch eine Zeitzeugin. Und dieser Satz von ihr war der Antrieb für mich auch meinen Beitrag dazu zu leisten, dass genau dies, nämlich das Vergessen, eben nicht passiert! Sie, die alte kleine Dame, lebt mit 98 Jahren und seit 1941 in New York. Und sie spricht trotz des hohen Alters, ihrer Demenz und ihrer körperlichen Gebrechen, noch immer deutsch, allerdings mit Akzent! Nicht wie man annehmen könnte mit amerikanischem Zungenschlang – nein, sie spricht mit mir in ihrem Appartement in Washington Heights, im 9. Stockwerk eines Wohnblocks in dem sie seit ihrer Flucht vor Nazideuchtschland lebt, mit dem Akzent ihrer Heimat, Ascheberscherisch, wie sie es selbst noch immer nennt. Und wenn sie dieses Idiom hört und dann auch spricht mit mir, dann kommen bei ihr Erinnerungen hoch und es klingt für mich dann sehr, sehr vertraut und authentisch. Berührend vertraut! Es war Helen zeit ihres Lebens ein Herzensanliegen gewesen der Nachwelt, den nachfolgenden Generationen, den Jugendlichen in den Schulen davon zu berichten wie sie selbst und ihre große Familie den „Terror der Nazis“, wie sie immer sagte, erlebt und überlebt bzw. eben nicht überlebt hat.

Und sie hat auch in diesem Sinne gehandelt, als sie ihrem „Aschebersch“ ein unschätzbares Geschenk gemacht hat – ihren Fluchtrucksack!  Sie hatte ihn als einziges Gepäck mitnehmen dürfen auf dieser abenteuerlichen Flucht mit der Familie, über die in der Folge noch berichtet werden wird. Diesen, Helens Rucksack, hat sie vor Jahren den städtischen Museen übermacht und er befindet sich im jüdischen Museum in einer Vitrine an prominenter Stelle und er erfüllt so die Aufgabe , die Helens Lebenszweck wurde – er mahnt und er ist ein Zeuge! Wenn man ihn zum Sprechen bringt – dann kann er auch viel erzählen…

Fluchtrucksack von Hella Strauß, 1941, Museen der Stadt Aschaffenburg

Da auch ein solch besonderes Leben nicht ewig währt und endlich ist, darf es nicht einfach spurlos verschwinden. Nicht aus dem Gedächtnis unserer Stadt und nicht aus dem Gedächtnis aller, die nach uns und Helen kommen… Ich sehe ich es als eine Aufgabe an andere Menschen, die ebenfalls nicht meinen, „es sollte doch nun mal Schluss sein“, an Helens prägenden Erfahrungen und Gedanken teilhaben zu lassen. Vielleicht lesen diese Zeilen auch junge Menschen, die sich von Helens Anliegen und Hoffnungen berühren lassen.

Ich bin froh und stolz ein kleines Stück ihres Lebens mit ihr teilen zu dürfen und nun heute in der Lage zu sein zurück zu schauen und davon aufzuzeichnen so gut es mir gelingt. Es ist ein Privileg und eine Ehre.

Liebe Helen – du bist und warst eine stolze, starke und mutige Frau und ich darf mich deine Freundin nennen!

Ich selbst möchte nun hier, vor allem an Hand meines sehr umfangreichen Briefwechsels, den ich über dreißig Jahren hinweg mit ihr pflegte, über sie, ihre Familie, ihr Leben damals und „danach“ – bis heute, in weiteren Beiträgen berichten.

Mehr zur Familie Solinger-Strauß: Helen erzählt – lebendige Briefe, Teil 1

 

Beitragsbild: © Ulli Weißhaar

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