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Nachkriegsweihnachten im Bohlenweg

von Hildegard Beuschlein

Wenn ich heute aus dem Fenster schaue und Anfang November die Bäume in der Fasanerie noch weitgehend im Herbstlaub sehe, fällt es schwer, sich vorzustellen, wie kalt es um diese Jahreszeit vor ca. 70 Jahren oft schon gewesen ist.
Aber sehr deutliche Erinnerungen habe ich an die Vorweihnachtszeit:

Mama buk Anfang Advent viele Christstollen. Schwierig war es, genug Zucker aufzutreiben, weil Papa auch Zuckerlösung zum Überwintern seiner vielen Bienenstöcke brauchte, Mama aber auf den geschleuderten Honig als Tauschobjekt angewiesen war. Wenn sie dann endlich alle Zutaten beisammen hatte, wurde Bernhard zum Kneten und Schlagen des zähen Hefeteigs angestellt. Dann formte Mama die Stollen, indem sie die einzelnen flachen Fladen von der Mitte her knapp übereinanderschlug und dann hoffte, daß das Gas gleichmäßig war und der schwere Teig weder sitzen blieb noch unförmig zerlief. Die fertigen Stollen wurden zum Durchziehen im Erker auf der Eckbank auf Pergamentpapier gelagert und an alle möglichen Leute zu Weihnachten verschenkt oder verschickt.

Wir hatten einen selbstgebundenen Adventskranz mit vier Kerzen und einem roten oder violetten darum gewundenen Band. Abends wurden regelmäßig die jeweiligen Kerzen angezündet und Adventslieder gesungen. Es gab auch ein Engelsgeläut aus Messing, von uns Kindern „Lala-Licht“ genannt wegen des Tons, den die fliegenden Engel mit ihren Klöppeln an den Glöckchen erzeugten.

Ärgerlich war, dass Papa den Nikolaus jedes Jahr knapp verpasste. Wenn er dann zu spät heimkam, musste ich alles haarklein erzählen. Und es war mir schleierhaft, wieso der Nikolaus immer Papas Sonntagsschuhe anhatte.

Morgens um 6 Uhr durch das dunkle Wäldchen in die Herz-Jesu-Kirche zur Rorate zu gehen, bedeutete schon ein ziemliches Opfer. Aber die besondere Stimmung in der dürftig erleuchteten Kirche und die anschließende heiße Frühstücksmilch daheim, bevor die Schule begann, entschädigten für das wöchentliche frühe Aufstehen.

Am Vormittag des Heiligenabends ging ich mit Papa in den Wald, meist oben am Godelsberg. Wir hatten einen Korb dabei, sammelten Moos, Tannenzapfen, dekorative Rindenstücke und kleine Farnpflanzen. Damit bauten wir eine Krippenlandschaft in der Umrandung des ehemaligen Sandkastens meiner Brüder, der im Wohnzimmer auf dem Boden stand. Nachmittags gingen wir dann auch manchmal Krippen in der Stadt besuchen. In der Muttergottespfarrkirche gab es einen Automaten. Dort kam nach Einwurf einer Münze ein Jesuskind aus einer kleinen Kapelle heraus, hob die Hand zum Segnen, drehte sich um und verschwand wieder hinter der Blechtüre.

Die Tür zum Weihnachtszimmer war natürlich geschlossen, weil die Engelchen noch so viel zu tun hatten. Ich weiß nicht mehr, ob ich es ausprobierte oder ob Mama vergessen hatte, die Tür zu schließen, jedenfalls ging ich ins verbotene Wohnzimmer und sah ein Paar Skier mit meinen Stiefeln dran in der Ecke stehen. Obwohl ich die Tür ganz schnell wieder schloss, war ich eher traurig über meine Entdeckung, die Überraschung war verdorben. Papa hatte ein Paar weiß gestrichene Armeeskier gekürzt, die Metallbacken der Bindung zurechtgebosselt und die Lederriemen an meine Stiefel angepasst. Ich versuchte, mir am Weihnachtsabend nichts anmerken zu lassen, damit Papa nicht enttäuscht war. In den Weihnachtsferien rutschte ich damit auf der Sauerswiese herum und hatte Probleme, die Ludwigsallee heil wieder herunter zu kommen.

Beim Christbaumschmücken durfte ich nicht helfen, das war Sache der Engelchen. Unser Baum stand auf dem Boden in der Krippenlandschaft, war meist deckenhoch und blieb bis Dreikönig stehen. Ab Silvester wurden die Kerzen nicht mehr angezündet, weil der Baum zu trocken war. Abends versammelten sich alle jeweils anwesenden Familienmitglieder und wir sangen Weihnachtslieder aus dem Quempasheftchen. Wir kannten alle Strophen auswendig und manchmal spielten Marilies und Bernhard auf der Altflöte. Als Weihnachtsschmuck besaßen wir schwere verspiegelte Glaskugeln in matten Farben, eine Holztaube mit ausgebreiteten Flügeln, blaugrau mit etwas weiß und roten Sprenkeln, die ein polnischer Fremdarbeiter für uns geschnitzt hatte, und manchmal auch Lametta.

Am Heiligen Abend war bis Mittag Quatember, das heißt, ein Fasttag, an dem nur eine dicke Suppe auf den Tisch kam. Abends, vor der Bescherung, aßen wir in der Küche, das Wohnzimmer mit dem großen Esstisch und der umlaufenden Bank war ja noch verschlossen und ich konnte es kaum erwarten, bis endlich alle ihren Kartoffelsalat und die Würstchen verspeist hatten und das Christkind mit dem kleinen Glöckchen klingelte. Und auch jetzt dauerte es noch geraume Zeit, bis die Geschenke dran waren. Das Weihnachtsevangelium wurde vorgelesen, die Krippe angeschaut und viele Strophen von Weihnachtsliedern gesungen, ehe endlich das erste Päckchen geöffnet werden durfte.
Die Geschenke waren mehr praktischer Art, was zum Anziehen, auch ein Buch und für jeden ein bunter Teller mit Plätzchen und Lebkuchen.
Nach der Bescherung gingen wir hinauf zu Tante Johanna und Onkel Theo. Deren Bäumchen hatte meist schon einiges hinter sich, ehe es endlich auf der Kommode über der beleuchteten Gipsgrotte mit der heiligen Familie stand. Onkel Theo wollte es nämlich immer besonders schön machen, setzte Zweige an kahleren Stellen ein, verschlimmbesserte und kürzte so lange, bis mehr als einmal ein Ersatzbaum zum Einsatz kommen musste. Es wurde immer Spritzgebackenes und Buttergebäck herumgereicht und wir stellten insgeheim jedes Mal fest, daß unsere eigenen Plätzchen besser schmeckten. Dann bewunderte man die Geschenke: Schal, Socken, Bleylepullover und Handschuhe, und Tante Elly, die auch meist da war, bekam eine Flasche Traubensaft. Anschließend machten wir uns für die Christmette fertig und gingen in die Herz-Jesu-Kirche.
Nach Weihnachten musste ich mich bei Tante Paula bedanken und, da wir damals noch kein Telefon hatten, hieß das Briefschreiben. Da meine Patentante nicht nur Lehrerin sondern sogar Schuldirektorin war, musste ich mir dabei besonders Mühe geben, damit sich Mama nicht blamierte.

Ob unsere Kinder oder Enkel, die gemessen an damals im Überfluß leben, auch solch intensive Erinnerungen an die Weihnachtszeit haben?

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