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Die letzten Tage vor der Besetzung durch amerikanische Truppen im Park Schönbusch

aufgezeichnet am 20.10.1949 von Lorenz Zilch

Fliegeralarm, dieses Wort oder dieser Begriff war einem jeden schon in Fleisch und Blut übergegangen. Doch ab dem 20. März 1945 früh, sieben Uhr, bis zur Besetzung durch die amerikanischen Truppen gab es Daueralarm. Es lag etwas in der Luft, das jeden bedrückte. Durch den Rundfunk wurde bekannt gegeben, dass die Amerikaner bei Oppenheim am Rhein den Flussübergang erzwungen hatten, und von diesem Zeitpunkt an lebten wir in Ungewissheit. Was würde nun weiter folgen?
Zur Wochenmitte war die Aschaffenburger Garnison erschienen, um sich in den Schönbusch-Gebäuden häuslich einzurichten. Mit besonderem Misstrauen verfolgen wir „Schönbuscher“ das, was sich in den nächsten Tagen zutragen sollte. Das gesamte Parkgelände, 131 Hektar groß, wurde ringsum mit Schützengräben umgeben. Dies war das erste Anzeichen. nachfolgender Ereignisse.
Der gesamte Garnisonsstab war im Wirtschaftsgebäude des Parks untergebracht. Am 24. März 1945 abends versammelte sich die Garnison zur Geburtstagsfeier eines Offiziers in der Gastwirtschaft Schönbusch. Ein Rind aus dem Viehbestand war geschlachtet worden. Es wurde gegessen und getrunken. Hochrufe wurden laut, und es schien als ob ein Fest in tiefstem Frieden gefeiert würde.
Alle Offiziere waren in bester, angeheiterter, Stimmung. Doch die nächsten Stunden brachten überraschende Ernüchterung in die Köpfe der Versammelten. Am 25. März, dem Palmsonntag, gegen 3 Uhr morgens hatten sich die meisten zur Ruhe begeben. Doch diese Ruhe sollte nicht lange währen. Schon eine Stunde später, also um 4 Uhr, wurden wir Schönbuscher aus dem Schlafe geholt. Ordonanzen hatten die Meldung überbracht, dass sich die amerikanischen Panzer schon Dieburg genähert hätten. Befehle auf Befehle folgten und alles ging wild durcheinander. Um 7.15 Uhr erschienen Tiefflieger und warfen am Abstellgleis Neuer Hafen in Leider eine Luftmine, die furchtbare Verwüstungen anrichtete. Mit banger Sorge sah man den kommenden Ereignissen entgegen. Gerüchte wurden laut, die Panzerspitze hätte Großostheim erreicht. Um 13.15 Uhr erschien der erste Panzer von Nilkheim her kommend im Schönbusch. Dieser wurde von der Getreidescheune aus mit einer Panzerfaust beschossen. In kurzer Zeit stand die Scheune in hellen Flammen und brannte vollständig nieder.
Was sich jetzt abspielte, kann im Einzelnen nicht mehr geschildert werden. Die Schönbuscher, die sich schon einige Tage vorher im Luftschutzkeller des Wirtschaftsgebäudes häuslich eingerichtete hatten, saßen dort mit einem kleinen Truppenrest der Garnison in gespannter Erwartung. Die ersten Amerikaner betraten den Luftschutzkeller und durchsuchten mit vorgehaltenen Revolvern sämtliche Räume. Der letzte Rest der einst so stolzen deutschen Truppen der hiesigen Garnison verließ, Hände auf dem Kopf, den Luftschutzkeller und ergab sich.
Inzwischen hatten sich die Panzer auch von der Darmstädter Straße her dem Schönbusch genähert, eine wilde Schießerei setzte ein, zumal von den Truppenresten auf der sogenannten „Hauswiese“ Widerstand geleistet wurde. Die restlichen deutschen Truppen zogen sich in aller Eile Richtung Aschaffenburg zurück, und als wir am späten Nachmittag nach einer Kampfpause den Luftschutzkeller verlassen konnten, lagen circa acht Tote auf der Hauswiese, bzw. am Parkausgang. Der katholische Pfarrer …. Giebfried von Aschaffenburg-Leider nahm am Montag früh die Aussegnung der Toten vor. Doch die Beerdigung unsererseits konnte nicht erfolgen, da immer wieder Schießereien einsetzten.

Am Dienstag, 27. März, mussten die im Luftschutzkeller versammelten Schönbusch-Bewohner auf Befehl der Amerikaner innerhalb von fünf Minuten den Luftschutzkeller und das Wirtschaftsgebäude verlassen, da sich der gesamte Truppenstab in diesem Gebäude niedergelassen hatte. Jeder von uns mit einem Bündel seiner schnell zusammengerafften Habe an Kleidern und Sonstigem auf dem Rücken, suchte so schnell wie möglich wieder ein schützendes Obdach zu bekommen, da von allen Seiten Artilleriefeuer einsetzte.
Einigen von uns war bekannt, dass sich bei Firma Callas im neuen Hafen ein Luftschutzbunker befand. Diesen suchten wir während des Beschusses so schnell wie möglich zu erreichen. Als wir ankamen, wollten uns die dortigen Hafenbewohner nicht aufnehmen, mit der Begründung, der Bunker sei überfüllt. Nach gütlichem Zureden fanden wird dann doch Einlass. Dicht gedrängt saßen wir drei Tage und drei Nächte nebeneinander, wobei wir fortgesetzt der Willkür eines amerikanischen Soldaten ausgesetzt waren, der öfter des Nachts erschien und mit einem vorgehaltenen Revolver ein deutsches Mädchen suchte, mit dem er sich angeblich schon unterhalten hatte.
Wir beschlossen deshalb nach unserem Heim im Schönbusch Ausschau zu halten. Drei Personen, Wirtschaftspächter Gabriel Birkart, Hausangestellte Otti Altvatter und ich, Lorenz Zilch, Angestellter bei der Schloss- und Gartenverwaltung Schönbusch, verließen am Karfreitag, 30. März 1945, den Bunker und gingen die Darmstädter Straße entlang, um sich zu vergewissern, ob das Wirtschaftsgebäude noch besetzt wäre.
Ein kurzer Blick in diese Richtung genügte, um festzustellen, dass dies der Fall war.

Auf dem Rückweg zum Bunker wurden wir von einer amerikanischen Streife angehalten, als Spione verhaftet und in das Schlösschen Schönbusch zum Verhör transportiert. Dort saßen wir drei Stunden gefangen, bis ein jeder einzeln von einem amerikanischen Offizier und einem Dolmetscher verhört und mit Fragen überhäuft wurde.
Als sich die Harmlosigkeit unserer angeblichen Spionage herausstellte — wir wollte ja nur nach unserm Heim sehen und Lebensmittel holen — wurden wir wieder auf freien Fuß gesetzt. Wir durften aber nicht mehr zum Bunker zurückkehren und mussten im Keller des Schlösschens verbleiben. Der damalige Gartenmeister Anton Weber, der bei der Besetzung mit seiner Familie im Schlösschen bleiben durfte, und ein Dolmetscher holten auf besondere Bitten hin Frau und Tochter des Gaststättenpächters Birkart aus dem Bunker in den Keller des Schlösschens.
Bekanntlich dauerte die Belagerung der Stadt Aschaffenburg l0 Tage. Dabei belegten von Park Schönbusch aus verschiedene amerikanische Batterien das Stadtgebiet und die weitere Umgebung fortgesetzt mit Artilleriefeuer. Was beim Bombenangriff am 21. November 1944 von der Stadt verschont geblieben war, wurde bei dem Beschuss weiter zerstört. Wir mussten vom Schlösschen aus mit ansehen, wie unser einst so stolzes Schloss Johannisburg, welches außer der Beschädigung eines Turmes durch Bombenvolltreffer unversehrt geblieben war, nun durch den Beschuss mit Brandgrananten in Schutt und Asche gelegt wurde, ausgenommen die Umfassungsmauern. Tagelang stand dieses bekannte historische Bauwerk in Flammen.
Selbst das an der Stützmauer des Schlosses an der Suicardusstraße angebrachte Wappen fiel einer Granate zum Opfer.

Ein während der Besetzung im Schlösschen Schönbusch stationierter amerikanischer Offizier, ein Kunsthistoriker, der sich mit uns in deutscher Sprache unterhielt, bedauerte zwar sehr, dass das Schloss, dieses schöne Bauwerk, zerstört wurde, hat aber anscheinend nichts unternommen, bzw. keinen Befehl erteilt, dieses zu schonen.
Das Schlösschen, in dem sich ganze Stab befand, war auch das Auffanglager für die Gefangenen, die nach Westen abtransportiert wurden. So mancher Bekannte, mancher durstige Soldat, der von uns einen Trunk. Wasser erbat, durfte ihn nicht erhalten, da dies von den Amerikanern streng verboten war.

Als nach 10 Tagen Aschaffenburg erobert war und wir nach. 21 Tagen wieder in unsere Behausung einziehen konnten, bot sich ein wüstes Bild. Manches Andenken, wie Schmuck, Familienerinnerungsstücke und dergleichen, die wir beim Verlassen des Hauses innerhalb der fünf Minuten nicht hatten mitnehmen können, waren verschwunden.

Nach elftägiger, sogenannter Gefangenhaltung im Schlösschen-Keller erhielten wir etwas Bewegungsfreiheit und wollten die gefallenen deutschen Soldaten auf der Hauswiese beerdigen.
Doch als wir hinkamen, waren sie verschwunden. Wie sich später herausstellte, wurden sie auf dem Heldenfriedhof in St. Avolt (Frankreich) zur letzten Ruhe bestattet. Von zwei deutschen Soldaten konnten die Personalien, die wir den Gefallenen abgenommen hatten, noch aufgefunden werden. Es waren dies ein Gefreiter Görke aus Witzenhausen bei Kassel und ein Gefreiter Günter Ohse, aus Heiligendorf, Kreis Gifhorn bei Fallersleben.
Die Angehörigen wurden benachrichtigt. Für Günter Ohse ließen die Eltern an dem Gefallenenplatz auf der Hauswiese eine Gedenktafel errichten.

Obwohl wir nun wieder in unserem alten Heim leben konnten, waren wir in banger Sorge: Fortgesetzt erfolgten Einquartierungen, manche der einquartierten Soldaten waren auch tagsüber betrunken und schossen mit den Pistolen wild umher. Dadurch war das Leben eines jeden, der sich frei bewegte, gefährdet.

All dies wurde von uns mit Geduld ertragen, denn der schrille Ton der Sirenen war verklungen und nach jahrelanger Aufregung konnten wir endlich wieder etwas ruhiger schlafen, wenn auch der Alpdruck des Besiegt-Seins auf uns lasten blieb.

Park Schönbusch, 20. Oktober 1949
gez. Lorenz Zilch

 

Noch eine Anmerkung von Erwin Kunkel ( 22.09.1935 – 25.04.2022)

Die amerikanischen Besatzungstruppen hatten sich in Onkel Lorenz Wohnung im Verwaltungsgebäude oberhalb der Gaststätte einquartiert. Nach verlassen musste mein Onkel feststellen, als er wieder in seine Wohnung durfte, seine ganze Uhrensammlung (alte Wanduhren) fehlten. Auch sein Wohnzimmertisch hatte ein großes Loch. Hier verbrannten die Amerikaner uuf dem Tisch einen Koffer voller Fotobilder der Wanderfreunde Damm 1922 e.V. Denn er war zu dieser Zeit ja 1. Vorsitzender  des Wandervereines und hatte sie aus dem Archiv gesammelt.

Ergänzt 06.07.2022

Die Aufzeichnung,  stammt aus dem Nachlass meines Onkels Erwin Kunkel (+25.04.22). Die vergilbten Aufzeichnungen wurden im September 2009 von Barbara Amarell- Kunkel auf ein Word Dokument übertragen.

Rainer Kunkel, Stadtrat seit 1984

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