A. Geschichtlicher Hintergrund
Schon vor dem letzten deutsch-deutschen Krieg von 1866 hatte das größte süddeutsche Königreich Bayern mit dem Nachbarstaat Kurhessen (Hessen-Kassel) einen Vertrag über den Bau einer Eisenbahnlinie geschlossen.
Dieser war am 14.12.1865 abgeschlossen worden und am 20.03.1866 durch Austausch der ratifizierten Ausfertigungen in Kraft getreten. Der Vertrag legte u.a. fest, dass
- a) Kurhessen seine geplante Bahn von Hanau nach Fulda im Kinzigtal zwischen Salmünster und Wächtersbach durch bayerisches Gebiet führen durfte und
- b) dass binnen vier Jahren nach Vertragsratifikation zwischen Elm bei Schlüchtern und Gemünden im Sinntal eine Verbindung dieser kurhessischen Bahnlinie mit der Ludwigs-Westbahn hergestellt werden sollte.
Die Bahnstrecke Elm-Gemünden war zunächst eingleisig vorgesehen, der Bahnkörper sollte jedoch bereits für zwei Gleise gebaut werden. Die Baukosten hatte jeder der beiden Staaten für den auf seinem Territorium liegenden Streckenabschnitt aufzubringen. Kurhessen sollte aber die ganze Strecke (mit Benutzung des Gemündener Bahnhofs) für zunächst zehn Jahre als Pachtbahn betreiben.
Die bayerische Regierung verständigte sich allerdings darauf, den Bau der Sinntalbahn erst einmal der anderen Seite zu überlassen. Die Kosten des Krieges und seiner Folgen sowie die preußischen Entschädigungsforderungen hatten ohnehin kein Geld für dieses und ähnliche Projekte in der Staatskasse gelassen.
Am 2. März 1867 wurde der preußische Gesandte in München wegen der Sinntalbahn vorstellig, und nach Abwägen der durch den vorausgegangenen Krieg entstandenen politischen Situation und der verbliebenen Möglichkeiten seitens der Regierung stimmte Ludwig II. vier Wochen später Verhandlungen mit Preußen über die Vertragserfüllung zu.
Im Laufe des Sommers 1867 steckte eine gemeinsame Kommission den Trassenverlauf im Grenzgebiet zwischen Jossa und Obersinn ab, im September desselben Jahres war der preußische Projektierungsentwurf fertig. Bayern ließ sich Zeit und schloss die Projektierung erst im Frühjahr 1868 ab. Ein Gesetz über den Bau der Bahnlinie, dessen Entwurf die Bayerische Regierung im Januar 1868 vorgelegt hatte, wurde von der Abgeordnetenkammer endlich am 6. März 1869 verabschiedet, am 29. April 1869 trat es in Kraft. Der 21,9 km lange bayerische Streckenabschnitt sollte danach 3.422.000 Gulden kosten.
Im Mai 1869 begannen die Bauarbeiten, wobei Preußen ständig auf schnellen Fortschritt drängte. Dass dann am 18. Januar 1871 in Versailles das deutsche Kaiserreich proklamiert wurde, hatte auf die Eisenbahnen keinen Einfluss. Sie blieben in der Zuständigkeit der einzelnen Länder, und so änderte sich beim Bau der Sinntalbahn auch nichts im Verhältnis zwischen den Vertragspartnern Preußen und Bayern.
Der Streckenbau im Sinntal brachte allerhand Probleme mit sich, vor allem technische. Es waren aufwendige Erdarbeiten nötig um eine gute Streckenführung zu erreichen, also gleichmäßige sanfte Steigungen und wenig Kurven. Dazu musste u.a. bei Rieneck ein Tunnel durch den Berg getrieben werden, um nicht der dortigen großen Schleife der Sinn folgen zu müssen. Bei Obersinn war zur Überquerung der Sinn eine ca. 30 Meter hohe und 171 Meter lange Brücke erforderlich (s. Teil II – der Sinntal-Viadukt).
Die neu erbaute Strecke wurde entsprechend einer höchsten Entschließung des kgl. Staatsministeriums des Inneren vom 21. April 1972 am
1. Mai 1872,
also nur ein halbes Jahr später als zunächst geplant, eröffnet. Die Stecke war nur eingleisig ausgebaut, der zweigleisige Ausbau/Betrieb erfolgte erst ab dem Jahr 1936.
B. Anmerkungen zur Obersinner „Eisenbahn-Geschichte“
Der Obersinner August Weismantel, Hausname „Dilleschneider“, Vater des am 10 Juni 1886 in Obersinn geborenen Schriftstellers, Dichters und Pädagogen Prof. Dr. Dr. H.C. Leo Weismantel, war zur Zeit der Inbetriebnahme der Bahnstrecke Elm-Gemünden schon vom Kappenmacher zum reichen Gastwirt und Großhandelskaufmann aufgestiegen. Er verdiente sein Geld vornehmlich mit dem Handel von Getreide, Stroh, Obst, Kartoffeln und sonstigen landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Er kaufte diese Waren im benachbarten Kurhessen ein, transportierte sie in den bayerischen Süden und verkaufte sie dort mit Gewinn. Der Bau der Eisenbahnlinie Elm-Gemünden machte die Sache noch ertragreicher. Nun konnte er die Waren mit der Bahn direkt von den Erzeugern zu den Verkaufsorten bringen. Seine Wagendecken für die Eisenbahnwagons, die man in der Folge in vielen Güterzügen sehen konnte, trugen die Aufschrift „A. Weismantel und Sohn“.
Der gebürtige Obersinner Anton Weismantel, später Kutscher bei August Weismantel schreibt zur Eröffnung der Bahnlinie in seinen Erzählungen „Heimat und Leben“ folgendes:
„Einen Bahnhof hat Obersinn nicht erhalten, obwohl es schon damals größer war als Mittelsinn, das diesen Vorteil errungen hat. Der Bahnhof wurde auch nicht zwischen die beiden Ortschaften, sondern direkt nach Mittelsinn verlegt. Der Grund war, daß die Obersinner Bauern unverschämt hohe Beträge für ihre Äcker, die zum Bau des Bahnhofs nötig gewesen wären, gefordert hatten.
Der Dilleschneider (Anm.: August Weismantel) hatte wiederholt Versammlungen einberufen um die Bauern zu bekehren, es gelang ihm aber nicht. Als dann der erste Zug an Obersinn vorbeifuhr, wollten ihn die Bauern mit Sensen, Dreschflegeln und dgl. anhalten. Der Zug blieb zwar an diesem Tag halten, es kam zu einem schweren Wortgefecht, aber nicht zu Tätlichkeiten.
Der Dilleschneider hatte sich mit seiner Bärbel (Anm.: seiner Ehefrau) hinauf bei das Kreuz am Brunnberg gesetzt und von dort den Vorgang beobachtet. Er hatte sich die Sache jedenfalls viel schlimmer vorgestellt als sie in Wirklichkeit geworden war. Der nächste Zug fuhr dann ungehindert an Obersinn vorbei.“
Anmerkung: Obersinn bekam erst im Jahr 1949 einen Haltepunkt an der Bahnstrecke Elm-Gemünden.
Text und Foto von Alfred G. Andres
Quellen:
– Broschüre: „Gemünden und die Eisenbahn“ des historischen Vereins Gemünden und Umgebung e.V.
– „Heimat und Leben“, Erzählungen von Anton Weismantel, Reichsbahnobersekretär i.R.