Horst Dahlemann – geboren am 12. September 1942 – stammte ursprünglich aus Berlin. Aufgrund der Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs war er bereits im Alter von drei Jahren dazu gezwungen, zusammen mit seiner Mutter und zwei Brüdern aus seinem Geburtsort zu fliehen. Ihre neue Heimat fand die Familie im Dorf Hain im Spessart, wo sie sich zu Beginn einen Raum mit zwei weiteren geflüchteten Familien teilten. Ein Jahr später folgte die Unterbringung in einem etwa 25 Quadratmeter großen Zimmer mit Waschbecken und Ofen bei einem Kleinbauern. In seinem Lebenslauf berichtete Dahlemann von seinen Erinnerungen an die beengten Wohnverhältnisse, die er als Kind offenbar vielmehr als behaglich wahrgenommen hatte, und an die Geld- und Nahrungsknappheit der Nachkriegszeit. Aus seiner Schulzeit blieben ihm insbesondere die Schwierigkeiten beim Lernen aufgrund des finanziell bedingten Mangels an Lernmaterialien in Erinnerung. Auch sah er sich dort mit Vorurteilen gegenüber den geflüchteten Kindern konfrontiert. Mit 14 Jahren verließ er die Schule und trat 1956 eine Ausbildung als Schweißer bei der Firma Josef Minz in Laufach an. In der Beschreibung seiner Kindheits- und Jugenderinnerungen hielt er fest: „Nun geht es bergauf“ (Abb. 3).
Und wie es bergauf ging! Neben seinem Beruf fand Dahlemann seine wahre Leidenschaft in einer ganz anderen Disziplin – schon früh schlug sein Herz für den Turnsport. Wie in seinem Vereinsausweis verzeichnet trat er am 1. Januar 1963 offiziell dem TV Sailauf bei (Abb. 4) und konnte bereits in der Juniorenriege erste Erfolge bei Wettkämpfen auf regionaler Ebene im Kreis Main-Spessart und Raum Unterfranken verzeichnen. Als Nachwuchstalent lenkte er die Aufmerksamkeit der Kunstturnführung des Deutschen Turner-Bundes auf sich und wurde daraufhin in die Talent-Liste des Bundeskunstturnausschusses aufgenommen. Es kristallisierte sich heraus, dass „[…] man sich an oberster Spitze des DTB Hoffnungen auf den trainingseifrigen Turner aus Hain macht[e], der Sommer wie Winter und bei jedem Wetter mit dem Motorrad nach Sailauf [fuhr], um dort mit den Riegenkameraden seine Turnkunst zu verbessern“ (Abb. 6).
Neben der Teilnahme an den Bayerischen Meisterschaften ließen die Erfolge bei bundesweiten Turnieren ebenfalls nicht lange auf sich warten: Im März 1964 bereitete sich Dahlemann für seine erste Deutsche Meisterschaft in Hannover vor und belegte einen guten 26. Rang, nicht lange danach begann er sein Training für die Weltmeisterschaften 1966.
Während seiner Dienstzeit als Flieger bei der Bundeswehr ab 1966 blieb er seiner Leidenschaft für das Turnen und seinem Verein so gut es ging treu und knüpfte nach seiner Rückkehr wieder erfolgreich an seine Karriere an. Im Februar 1969 heiratete er die Aschaffenburgerin Hannelore Herrmann (geb. am 3.1.1948), die selbst erfolgreiche Turnerin beim TuS 63 Damm war – von der „Turnerhochzeit in Damm“ wurde sogar in der Zeitung berichtet (Abb. 9 und 10). Nachdem im selben Jahr eine Kunstturn-Bundesliga gegründet wurde, verhalf Dahlemann dem TV Sailauf nicht nur zur Qualifikation, sondern spielte eine entscheidende Rolle dabei, dass der Verein seine dortige Stellung sieben Jahre lang halten konnte. Weiterhin gestaltete er maßgeblich die Förderung des Kunstturnens als Sportart in der Region und das Errichten der dafür erforderlichen Infrastruktur mit. Im Rahmen der Vereinserfolge des TV Sailauf wurde beispielsweise im Ort eine neue Turnhalle gebaut. Auch engagierte er sich während seiner aktiven Zeit und weit darüber hinaus als Trainer für den TuS 63 Damm und unterstützte bis ins Jahr 2020 Generationen von Turnerinnen und Turnern bei der Ausbildung.
Ein Höhepunkt sowohl in seiner Turnerkarriere als auch in der seiner Vereinskolleginnen und -kollegen war 1974 eine vierwöchige Sporttournee nach Australien auf Einladung der Australischen Sportunion, die über den Kontakt zu zwei australischen Kunstturnern organisiert werden konnte. Zehn Turner und eine Turnerin machten sich auf die Reise und nahmen vor Ort unter anderem erfolgreich an der International Competition der Sydney University teil. Darüber hinaus konnte der TV Sailauf im Rahmen der Tournee die australischen Kunstturner Peter Lloyd, Rudi Starosta und Phil Cheetham für den Verein gewinnen. Weitere Reisen wurden unter anderem nach Namibia und Südafrika, Südamerika (Chile, Paraguay und Brasilien), Hawaii sowie in den heutigen Iran unternommen. Diese waren nicht nur geprägt von Turnerfolgen, sondern auch von der Möglichkeit, internationale Kontakte zu knüpfen und Freundschaften über Landesgrenzen hinweg zu schließen, die weit über den sportlichen Wettkampf hinausreichten.
Mit seiner Leidenschaft für das Kunstturnen und seiner erfolgreichen Laufbahn wurde Horst Dahlemann zu einem Vorbild für viele Sportlerinnen und Sportler sowie Turninteressierte in der Region Unterfranken und auch darüber hinaus – seine Karriere wurde mit Begeisterung verfolgt. Seine Erlebnisse, Erfolge und Erfahrungen dokumentierte er detailreich – zahlreiche Zeitungsartikel, Fotos, Urkunden, Medaillen und Abzeichen zeugen von seiner begeisternden Turnerlaufbahn und von seinem großen Einfluss auf die Geschichte des Sports in Unterfranken.
Im Rahmen meines Praktikums im Oktober 2024 bei den Museen der Stadt Aschaffenburg konnte ich den Nachlass von Horst Dahlemann inventarisieren und in die Sammlungsdatenbank aufnehmen sowie in einem kurzen hier veröffentlichten Beitrag zusammenfassen. Der Objektbestand im Nachlass umfasst insgesamt 136 Objekte, darunter mehrere Fotoalben, und wurde den Museen der Stadt Aschaffenburg von Hannelore Dahlemann und Tochter Katja Kempf überlassen (Inventarnummern MSA 188/2024 – MSA 324/2024).
Alle Quellen/Objekte stammen aus dem Nachlass von Horst Dahlemann, Museen der Stadt Aschaffenburg.
Abbildungsnachweise:
Abb. 1: Horst Dahlemann beim Turnen am Seitpferd. Aus: Erinnerungsordner 1970er Jahre (Foto: Julia Zehnder, Museen der Stadt Aschaffenburg, Inventarnummer: MSA 312/2024).
Abb. 2: Horst Dahlemann beim Turnen an den Ringen. Aus: Erinnerungsalbum 1965-1968 (Foto: Julia Zehnder, Museen der Stadt Aschaffenburg, Inventarnummer: MSA 317/2024).
Abb. 3: Erste Seite der handschriftlichen Kindheits- und Jugenderinnerungen. Aus: Kindheits- und Jugenderinnerungen von Horst Dahlemann (Foto: Julia Zehnder, Museen der Stadt Aschaffenburg, Inventarnummer: MSA 316/2024).
Abb. 4: Vereinsausweis des TV Sailauf. Aus: Erinnerungsordner 1970er Jahre (Foto: Julia Zehnder, Museen der Stadt Aschaffenburg, Inventarnummer: MSA 312/2024).
Abb. 5: Zeitungsausschnitt „Sailaufs Turner als Vorbild der Jugend“. Aus: Erinnerungsalbum 1963-1965 (Foto: Julia Zehnder, Museen der Stadt Aschaffenburg, Inventarnummer: MSA 319/2024).
Abb. 6: Zeitungsausschnitt „Horst Dahlemann auf der Talent-Liste“. Aus: Erinnerungsalbum 1963-1965 (Foto: Julia Zehnder, Museen der Stadt Aschaffenburg, Inventarnummer: MSA 319/2024).
Abb. 7: Urkunde für den 3. Rang bei den Bayerischen Meisterschaften 1967. Aus: Nachlass Horst Dahlemann (Foto: Julia Zehnder, Museen der Stadt Aschaffenburg, Inventarnummer: MSA 321/2024).
Abb. 8: Horst Dahlemann und Hannelore Herrmann beim Gauturnfest Main-Spessart 1967. Aus: Erinnerungsordner 1970er Jahre (Foto: Julia Zehnder, Museen der Stadt Aschaffenburg, Inventarnummer: MSA 312/2024).
Abb. 9: Horst und Hannelore Dahlemann an ihrem Hochzeitstag 1969. Aus: Erinnerungsordner 1970er Jahre (Foto: Julia Zehnder, Museen der Stadt Aschaffenburg, Inventarnummer: MSA 312/2024).
Abb. 10: Zeitungsausschnitt „Turnerhochzeit in Damm“. Aus: Erinnerungsordner 1970er Jahre (Foto: Julia Zehnder, Museen der Stadt Aschaffenburg, Inventarnummer: MSA 312/2024).
Abb. 11: Medaillen. Aus: Nachlass Horst Dahlemann (Foto: Julia Zehnder, Museen der Stadt Aschaffenburg, Inventarnummern: MSA 191/2024, MSA 193/2024, MSA 194/2024, MSA 195/2024, MSA 196/2024, MSA 198/2024, MSA 280/2024, MSA 281/2024, MSA 287/2024).
Abb. 12: Anstecknadeln und Abzeichen. Aus: Nachlass Horst Dahlemann (Foto: Julia Zehnder, Museen der Stadt Aschaffenburg, Inventarnummern: MSA 201/2024 – MSA 279/2024).
Abb. 13: Bedruckte Becher von Wettkämpfen. Aus: Nachlass Horst Dahlemann (Foto: Julia Zehnder, Museen der Stadt Aschaffenburg, Inventarnummern: MSA 188/2024 – MSA 190/2024).