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Das Portal der Schlosskirche von Aschaffenburg als Initiationsportal

  1. Zeitliche Einordnung

Bereits innerhalb der mittelalterlichen Burg von Aschaffenburg gab es eine Schlosskapelle, die Johannes dem Täufer geweiht war. Sie wurde 1285 eingeweiht. Beim Bau des neuen Schlosses unter Erzbischof Johannes Schweikhard von Cronberg in den Jahren 1605-1619 wurde die neu errichtete Schlosskapelle in den Nordflügel in westöstlicher Richtung eingegliedert. „Der Entwurf des Portals stammt nach Ausweis des Stils von Ridinger, die Skulpturen von dem Meister der übrigen Bildhauerarbeiten der Schlosskirche, also Hans Junker.“ Die Gesamtanlage folgt dem Renaissancestil. (1)

 

  1. Beschreibung des Schlossportals

Dem Eingangsportal einer Kirche kommt besondere symbolische Bedeutung zu. „Hier beginnt der Weg der Gläubigen durch die „Porta coeli“, das Tor des Himmels zum Paradies.“ (2) Die erste Muschelnische birgt die Statue Johannes des Täufers, des Vorläufers des Messias. Die Nische ist von zwei kannelierten Säulen gesäumt, die in ihrem unteren Teil „rechteckförmige Schienenbeschläge nachahmt.“ Die Säulen enden in korinthischen Kapitellen. Johannes selbst, das ruhende Lamm als Attribut an seinem linken Fuß, blickt in östliche Richtung, ist als Asket mit Bart und wallendem Haupthaar und in spärlicher Kleidung dargestellt. Rechtes Bein und rechter Fuß sind entblößt. Der rechte Arm fällt wie teilnahmslos nach unten, die linke Hand hingegen trägt ein flach liegendes geschlossenes Buch. Es ist Symbol für das alttestamentliche Wort Gottes mit dem Aufruf zur Umkehr, das er prophetisch am Jordan verkündet hat. (3)

Es folgt der dominante Mittelteil der Portalanlage mit der rundbogigen Türöffnung, dessen Schlussstein das Bildnis des Schweißtuchs der Veronika mit dem Antlitz Christi zeigt. Zwei puttenartige Engelsköpfchen flankieren den Stein.  Darüber ein rechteckiges Relief in hellgrünem Buntsandstein mit der Darstellung der Taufe Jesu im Jordan. Das Relief ist voller Leben. Zu sehen sind die Wellen des Jordans am unteren Bildrand. Im Hintergrund zur Linken eine bukolische Szenerie mit Fels, üppigem Blattwerk und Felsen, von dem sich eine Familie mit fürsorglicher Mutter, Vater und Kind abhebt. Augenfällig sind der nackte Rücken des Vaters, dessen rechte Hand ins Wasser zu tauchen scheint, und seine hockende Körperhaltung. Seine Linke streckt sich nach oben, als wolle er nach etwas greifen. Lebendig ist diese Seite gerade auch durch die wechselnde Blickrichtung der drei Personen: Das noch babyhafte Kind schaut nach links in der Pose des Vaters – weg von der Taufszene –, die Mutter hingegen beugt sich in Richtung der rechten Szenerie mit der Taufe Jesu.

Vier Personen haben sich auf der rechten Reliefseite gruppiert. In der Mitte Jesus mit gekreuzten Armen und im Lendenschurz, den Blick nach innen und nach halbrechts gerichtet, wo Johannes der Täufer über ihn das Taufwasser aus einer Jakobsmuschel ausgießt. Sein ganzer Leib ist ihm zugeneigt. Taufe ist Erleuchtung. „Der Himmel öffnete sich“, schreibt der Evangelist. (4) Der Bildhauer bringt dies durch den goldenen Strahlenkranz über dem Haupt Jesu zum Ausdruck. Auffallend der Kreuzstab in seiner Linken, der das ganze Bild in seiner Breite trennend durchfährt. Hinter der Johannesgestalt zwei Assistenzfiguren der Taufe, von denen die rechte das weite Tuch zum Trocknen des Körpers bereithält. Ihr zur Seite auf Augenhöhe aber im Hintergrund eine zweite Gestalt mit Blick zum Betrachter.

Der Segmentgipfel über dem Relief öffnet sich in der Mitte nach oben und gibt den Blick auf eine gekrönte Mariengestalt mit dem Christuskind auf den Armen frei. In den Antiphonen des Stunden-Gebetes der Kirche wird Maria bereits ab dem 13. Jahrhundert als Königin angerufen, so beim heiligen Franz von Assisi (5):

Sei gegrüßt, heilige Herrin, heiligste Königin,
Gottesmutter Maria,
die du in Ewigkeit Jungfrau bist, erwählt vom heiligsten Vater im Himmel,
die er geweiht hat mit seinem heiligsten, geliebten Sohn
und dem Geiste, dem Tröster,
in der  alle Fülle der Gnade und  alles Gute war und noch ist.
Sei gegrüßt, du sein Palast.
Sei gegrüßt, du sein Gezelt.
Sei gegrüßt, du sein Gewand.
Sei gegrüßt, du seine Magd.
Sei gegrüßt, du seine Mutter.

Parallel zur Figur Johannes des Täufers steht in östlicher Richtung die Figur des Evangelisten Johannes, ebenfalls in einer Muschelnische. Sie ist flankiert von zwei kannelierten Säulen mit Kapitellschmuck. Er blickt in Richtung der Taufszene, die er seinem Evangelium (6) beschrieben hat. Sein Gesicht wirkt jugendlich, das Obergewand ist lang, die Füße entblößt, in seiner Linken das geöffnete Buch. In der Geheimen Offenbarung, die ihm zugeschrieben wird, schaut er das geöffnete Buch, die Geheime Offenbarung. (7) An seinen rechten Fuß lehnt der Adler, sein Attribut.

 

  1. Solares Jahr und Kirchenjahr in der Portalkomposition

Das solare Jahr mit seinen Wendepunkten ist schon in der Frühzeit des Christentums christologisch gedeutet worden: Christus ist die „neue Sonne der Gerechtigkeit“, wie ihn der Prophet Maleachi verkündet hat. (8) Ein Christ orientiert sich an seinem Licht, seinem Lebensweg, der ein Erlösungsweg ist. Er betrachtet und feiert ihn im Verlauf des Kirchenjahres – zusammen mit Maria und den Heiligen. Das profane Jahr hat eine spirituelle Mitte. Es ist involutiv und evolutiv in seinem Verlauf. Involutiv zum Zeitpunkt der Sommersonnenwende, wenn sich die Sonne auf ihrem scheinbaren Spiralweg nach innen wendet. Zu diesem Zeitpunkt des Jahres wird das Geburtsfest Johannes des Täufers gefeiert – am 24.6. –, evolutiv zur Zeit der Wintersonnenwende, wenn Christi Geburt begangen wird. An sie lehnt sich das Fest des Evangelisten Johannes am 27.12. an. Die spirituelle Mitte und Höhepunkt des Jahres sind der Karfreitag und vor allem Ostern.

Der Blick auf die Portalkomposition zeigt die beiden erwähnten Symbolgestalten für die Tore des Jahres. Die Mitte hingegen nimmt das Erlösungsgeschehen im Frühling ein – mit dem Karfreitag (Schweißtuch der Veronika), mit Ostern, das schon in der Osternacht, der ursprünglichen Taufnacht, gefeiert wird (Taufszene). Die Mariengestalt könnte an den 25.3., an das Fest der Verkündigung an Maria durch Gabriel erinnern. Es wird in zeitlicher Nähe zu einem frühen Ostertermin gefeiert. Auf der Gegenseite der Frühlingstagundnachtgleiche, im Herbst, zum Zeitpunkt der Tagundnachtgleiche, weist der liturgische Kalender das Fest der Empfängnis Johannes des Täufers auf, das früher in der Westkirche am 24.9. heute noch in der Ostkirche am 23.9. begangen wird.

Das Portal birgt alle wichtigen liturgischen Zeitpunkte des Kirchenjahres. Der Erzbischof Johannes Schweikhard konnte sich und die Träger seines Namens so gleich mehrfach im Portal wiederfinden.

 

  1. Das Portal und der Kirchenraum der Schlosskirche

Das Eingangsportal ist nicht nur „porta coeli“. Es schließt zudem mit einem Bildprogramm den Innenraum ab. Betritt man diesen Raum, so fällt zunächst die ästhetische Spannung zwischen dem westlichen Gebäudeteil und dem östlichen auf. Im Westen, die eher schlicht gehaltene dreigliedrige Empore als Oratorium, die von vier kannelierten Pilastern als Unterwölbung getragen ist. Diese ist rundbogig und wird von parallel zugeordneten Engelkaryatiden geziert. Fünf Joche mit rautenförmigem Gewölbe entfalten sich nach Osten hin, wo sich das eindrucksvolle Altarretabel von Hans Junker dem Auge zur Betrachtung darbietet. Seine dreiteilige Mitte birgt das Erlösungsgeschehen und den liturgischen Bezug zwischen dem Leiden, Sterben und Auferstehung Jesu und der Eucharistie. Engel, vor allem aber der heilige Martin als Stadtpatron und Johannes Schweikhard im Ornat des Erzbischofs, der in seiner Rechten ein Modell des neuen Aschaffenburger Schlosses trägt, umsäumen die Mitte. Es ist sein Schloss, das er in Auftrag gegeben hat.

Seine Position, in Respekt und Verehrung des heiligen Martin auf der linken Altarseite, vom Altar aus gesehen, mag anstößig wirken, vor allem dann, wenn man den Altar mit dem Eingangsportal in Beziehung setzt. Dort wird, wie beschrieben, die zentrale Aussage, die sich im Mittelteil nur in Andeutung entfaltet, von Johannes dem Täufer in westlicher Richtung und Johannes dem Evangelisten in östlicher Richtung flankiert. Im Junkeraltar nimmt Johannes Schweikhard somit die Stelle des Evangelisten Johannes vom Portal ein.

 

  1. Das antike Vorbild der beiden Johannesgestalten

Annick de Souzenelles verweist im Zusammenhang mit der Bedeutung der Mitte – physiologisch als Wirbelsäule wie auch zeitlich als Mitte des Jahres – auf das antike Vorbild des Gottes Janus Bifrons hin. Er wird mit einem Kopf dargestellt, der zwei Gesichter zeigt: das Gesicht eines Greises und das Gesicht des jungen Mannes. Sie schreibt: „Dieser Janus Bifrons symbolisiert die Zeit: die Vergangenheit mit dem Gesicht des Alten, die Zukunft mit dem des jungen Menschen. Das einzige Gesicht, das nicht dargestellt werden konnte, war das Gesicht der Gegenwart, das unfassbare, nicht materielle, zeitlose.“ (9) Das Portal der Schlosskapelle zeigt dieses Gesicht mit dem Antlitz des leidenden Christus auf dem Schweißtuch der Veronika.

 

  1. Die initiatische Dimension von Portal und Kirchenraum

Die Renaissancekunst entwickelte im Wesentlichen die geistigen Vorgaben aus der Gotik weiter (10), deren Grundlagen ihrerseits bis in die Antike zurückreichen. Sie bewahrte in Architektur und Kunst deren initiatische Dimension – Initiation, verstanden mit den Worten der Kunsthistorikerin Marie-Madeleine Davy als Ausdruck und Erkennen der „Präsenz Gottes und sich von dieser Präsenz ergreifen lassen.“ (11) Das Schlossportal ist voller initiatischer Symbolik, angefangen bei den bloßen Füßen der beiden Johannesfiguren bis zu ihrem Haupthaar, um Beispiele zu nennen.

Zu den frühesten Symbolen christlichen Glaubens zählen das Wasser der Taufe und das Brot (zudem der Wein) in der Eucharistie. Beide Sakramente sind auf dem Portal vertreten – mit Johannes dem Täufer, das Sakrament der Taufe und mit Evangelisten Johannes die Eucharistie, wenn Jesus bei der Brotvermehrung sagt: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist.“ (12) In dieser Spannung von Christwerden und Christsein befinden sich Portal und Kirchenraum.

Die Täuferfigur zum Beginn des Weges eines Christen, steht auf der westlichen Seite des Portals als Himmelsrichtung des Paradiesverlustes. Doch das Lamm zu seinen Füßen verweist schon auf Jesus Christus, der „hinweg nimmt die Sünde der Welt“. (13) Gerade in romanischen Kirchen ist der Westteil Johannes dem Täufer geweiht. (14) Der andere Johannes zeigt auf das Paradies und das himmlische Jerusalem der Endzeit, das er schauen durfte. So sind Altes Testament und Neues Testament, Vergangenheit und endzeitliche Zukunft, Zeit und Ewigkeit auf dem Portal vereint. In der Mitte – die Gegenwart der Zeit Johannes Schweikhards: eine Familie, vielleicht aus dem Pastoralraum des Erzbischofs, zu dem auch Aschaffenburg zählt, in ihrer Wende hin zur Taufe oder unentschieden im Taufangebot.

Möglicherweise bringt das Relief auf diese Weise die Taufe als eine der pastoralen Aufgaben seiner Diözese seit Anbeginn der Christianisierung zum Ausdruck.

Autor: Peter Spielmann, 2. Mai 2024

 

Bildnachweis:

Peter Spielmann

Literatur

(1) Vgl. Die Kunstdenkmäler von Bayern, Stadt Aschaffenburg, München 1982, S. 248-250.

(2) Goecke-Seischab Marie-Luise, Ohlemacher Jörg, Kirche erkunden, Kirchen erschließen, Köln 2010, S. 42.

(3) Mk 1,4.

(4) Mk 1,10f.

(5) Franziskanisches Gotteslob, Würzburg 1976, S. 16.

(6) Joh 1, 29-34.

(7) Offb 5, 1.

(8) Mal 3, 24.

(9) de Souzenelle, Annick, le symbolisme du corps humain, St-Jean-de-Braye, 1984, S. 81f.

(10) Vgl. Wundra, Manfred, Renaissance, München 1978, S. 5-13.

(11) Davy, Marie-Madeleine, Initiation à la Symbolique Romane, Paris 1964, S. 106.

(12) Joh, 6, 35.

(13) Joh, 1, 29.

(14) Spielmann, Peter, Les murmures de la basilique, un parcous mystique de l’église de la Madeleine, Aschaffenburg 2021, S. 64-66.

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