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Nachkriegskindheit im Bohlenweg

Erinnerungsbericht von Hildegard Beuschlein (ca. 2005 verfasst)

Geboren bin ich mitten im Krieg, am 14.Mai 1941. Wahrscheinlich war ich nicht geplant, Mama war bereits 40 und Papa 48 Jahre alt, als ich zur Welt kam. Mein Bruder Hermann war schon 14 und über den Familienzuwachs eher weniger begeistert. „Meine Eisenbahn kann ich nun wohl auf dem Speicher aufstellen“, soll er gesagt haben, als Mama an Weihnachten das Geschwisterchen ankündigte. Bernhard war 11 und Marilies knapp 10. Mein Vetter Josef, der im 1.Stock unseres Hauses wohnte, war auch nicht sehr interessiert, als er die Nachricht von meiner Geburt hörte. „Kleine Kinder gibt es jeden Tag, aber heute schlüpfen die jungen Eichelhäher und das habe ich noch nie gesehen“, war sein Kommentar. Papa hatte nämlich zahme Eichelhäher und Dohlen in einer Voliere. Hermann hat seine Bedenken offenbar rasch aufgegeben, denn er wurde mein Hoffotograf. Zu Weihnachten hatte er einen Fotoapparat bekommen und die meisten Aufnahmen aus meinen ersten Jahren hat er geschossen.

Ob meine ersten Erinnerungen aus dem Jahr 1944 oder 1945 stammen, weiß ich nicht, aber ich weiß noch gut, welche Angst ich hatte, als wir samt Oma Götz und Tante Lieschen während der Bombenangriffe im Bohlenweg im Keller saßen. Offenbar stand da auch zeitweise mein Gitterbett, und ich erinnere mich genau, dass ich mich einmal zwischen Mamas Beine gehockt und in ihre Schürze eingewickelt habe, während es draußen krachte und heulte. Bernhard und Hermann halfen nach solchen Bombenangriffen beim Löschen, Hermann war zu guter Letzt noch bei den Flaghelfern.

Es muss wohl kurz vor dem Kriegsende gewesen sein, als mich Bernhard auf dem Fahrrad quer durch den Wald auf die Buchenmühle in der Nähe von Sulzbach zu Tante Settchen und Tante Elly in Sicherheit gebracht hat. Ich habe vage Erinnerungsfetzen von Panzern und Soldaten auf der Straße und sicher weiß ich nur, dass abends beim zu Bett gehen immer das gleiche Ritual ablief: Offenbar suchten alle mehr oder weniger gleichzeitig die eingebauten Bettnischen auf, denn Tante Elly ermunterte mich jedes Mal: „Wer zuerst schläft, pfeift!“ Natürlich wollte ich gewinnen und nur einmal habe ich Tante Elly pfeifen hören. Als dann die Amerikaner immer näherkamen, flüchteten wir nach Leidersbach und ich kann mich dunkel erinnern, dass ich zu einem wildfremden Kind ins Bett gelegt wurde. Als wir später wieder zur Buchenmühle zurückkamen, hatten die durchziehenden Soldaten fürchterlich gehaust. Die Gläser mit dem eingemachten Obst aus dem Keller waren geöffnet und der Inhalt in den Zimmern auf die Teppiche ausgeleert. Die Bettfedern flogen, und, laut Erzählung der Erwachsenen, waren die Wohnräume zu Toiletten umfunktioniert. Mir hat man den Anblick dieser Barbarei nicht zugemutet. Am Karfreitag holten die Eltern mich wieder ab, der Krieg war aus und wir konnten nach Aschaffenburg zurück. Ich trug einen Lodenmantel mit einer angeknöpften spitzen Kapuze und als wir heimkamen und als erstes nach den Hühnern schauten, hatten die in der Zwischenzeit so viele Eier gelegt, dass Papa meine Kapuze vom Mantel knöpfte und die Eier darin sammelte.

Ich weiß nicht mehr, ob wir während unsere verschiedenen Aufenthalte auf der Buchenmühle Bucheckern sammelten um daraus Öl zu gewinnen, oder ob das zu Hause war, an den kratzigen Geschmack der dreikantigen Nüsschen erinnere ich mich aber sehr gut. Zum Basteln waren die aufgeplatzten vierzipfeligen, stacheligen Bucheckernhüllen jedenfalls gut zu gebrauchen. Zusammen mit Eicheln konnte man daraus Tänzerinnen mit wippenden Röckchen und Zipfelmützchen zaubern.

Meine erste Begegnung mit den Amerikanern fand vor unserem Haus statt. Einige Jeeps fuhren im Schritt -Tempo hintereinander den Bohlenweg hoch, als wir da auf der Straße spielten. Sie lachten, waren sehr freundlich und einer schenkte mir die erste Orange meines Lebens. Tagelang habe ich sie nur angeschaut und daran gerochen, ehe ich sie essen wollte. Später bekamen wir von einem dunkelhäutigen, netten GI dann öfter dubble-bubble Kaugummi geschenkt, mit dem man wunderbare Blasen machen konnte.

Am oberen Bohlenweg standen einige unversehrte Villen. Die wurden von den Amerikanern beschlagnahmt und als Offizierswohnungen genutzt. Wir Kinder fanden schnell heraus, dass es sich lohnte, dort in die Mülltonnen zu schauen. Da lagen manchmal komplette Packungen Toastbrot und andere Lebensmittel drin, von denen wir kaum die Namen wussten. Mama habe ich das nicht immer erzählt, sie hätte mir das sicher verboten.

Den gesamten Erinnerungsbericht können Sie hier per PDF lesen.

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