Vom 21. bis 31. Mai 2024 wurde im Digitalladen der Stadt Aschaffenburg (Roßmarkt 11) eine Ausstellung zum bekannten Aschaffenburger Demokraten und Parlamentarier Jean Stock gezeigt:
Als Mitglied und einer der Schriftführer im Parlamentarischen Rat war der Aschaffenburger von 1948 bis 1949 einer der Geburtshelfer der Bundesrepublik. Die analoge Ausstellung zeigte Exponate aus dem Nachlass der Familie Stock, die im Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg aufbewahrt werden.
Hier können Sie nun die in der analogen Ausstellung gezeigten Exponate digital erleben. Auf diesem Weg können Sie sie nach Belieben vergrößern, nun auch die Rückseiten einsehen und erhalten zudem noch einige Hintergrundinformationen mehr als das im Rahmen der analogen Ausstellung möglich war.
Zunächst finden Sie zur Übersicht zwei maschinengeschriebene tabellarische Lebensläufe zur Person, von welchen einer von ihm selbst kurz vor seinem Tod in den frühen 1960er Jahren verfasst wurde:
CV Jean Stock erstellt von Jean Stock
Ergänzend dazu ein ähnliches Dokument, das Jean Stocks Sohn Rudi Stock nach dem Tod des Vaters um weitere Informationen ergänzt hat.
CV Jean Stock erstellt von Rudi Stock
Seit 1911 war der gelernte Buchdrucker, der im Rahmen seiner Ausbildung in Aschaffenburg ansässig geworden war, Mitglied der SPD. Während der Novemberrevolution war er in Aschaffenburg einer der gemäßigteren Akteure. Während der Weimarer Republik war Jean Stock weiterhin aktives Mitglied der SPD und setzte sich für die Aschaffenburger Arbeiterschaft ein.
Jean Stocks letztes Parteibuch aus der Weimarer Republik. Am 2. Juni 1933 wurde die Arbeit der Partei durch die NSDAP offiziell unterbunden und verboten. In Aschaffenburg beendete die SPD schon bald nach der Machtergreifung gezwungenermaßen ihre Aktivität.
Der „Gewerkschaftssekretär“ Jean Stock erwarb 1922 einen Geschäftsanteil an der „Aschaffenburger Genossenschaftsdruckerei“. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er es, der das „Main Echo“ mit ins Leben rief.
Auch privat war die Weimarer Republik für Jean Stock eine Zeit des Aufbruchs. Er heiratete seine Frau Ida und erwarb im Sommer 1922 dieses Haus in der Wilhelminenstraße. Hier posieren sie mit Tochter Anneliese (*1920) und Sohn Rudi (*1921) für den Fotografen.
Mit der „Machtergreifung“ begann auch für die Stocks eine Zeit der Entbehrungen und Repressalien. Das Staatsarchiv Würzburg verwahrt seine Akte Nummer 15428, die detailliert die Methoden und Strategien der Geheimen Staatspolizei, die gegen seine Familie angewandt wurden. Stock durfte keine Zeitung mehr drucken und behalf sich notdürftig mit dem Druck von Sterbebildern und Werbung in einer eigens dazu gegründeten kleinen Druckwerkstatt.
Als politische Maßnahme wurde Jean Stock im August 1944 nach dem Hitlerattentat (Stauffenbergattentat) als einer der politisch Verfolgten verhaftet und im Konzentrationslager Dachau interniert.
Knapp zwei Wochen später wurde Jean Stock wieder aus den KZ entlassen, laut den Berichten von ihm und weiteren Häftlingen aus Aschaffenburg auf Betreiben des ebenfalls aus Aschaffenburg stammenden Lagerkommandanten Eduard Weiter https://de.wikipedia.org/wiki/Eduard_Weiter, der während der Novemberrevolution auf Seiten Stocks und seiner Kollegen wie Bernhard Junker politisch gekämpft hatte und der offenbar seine Mitbürger vom Untermain wiedererkannt hatte. Weiters Familie lebte bis Kriegsende wohl in Aschaffenburg.
Am 14. April 1945 ernennt der Stadtkommandant Charles M-. Emerick Jean Stock aufgrund seiner antimilitaristischen Einstellung und seinen Widerstand gegen die NSDAP zum Oberbürgermeister von Aschaffenburg. Hier ein persönliches Schreiben Emericks an die amerikanischen Behörden, das Jean Stock ermöglichte seinen Sohn Rudi Stock in der Gefangenschaft im Lazarett Ende Juni 1945 besuchen.
Beruflicher Neubeginn nach zwölf Jahren Repression: Am 03. März 1946 eröffnete das Main Echo, hier bei der feierlichen Inbetriebnahme der Rotationspressen. Im Vordergrund links Jean Stock im Gespräch mit Colonel Bernhard B. McMahon, im Hintergrund die Rotationspresse.
Jean Stock im Auditorium zur Eröffnungsrede. Des Weiteren sind zu sehen v.l.n.r.: Colonel Bernhard B. McMahon, Presseoffizier E. Opitz, Stadtkommandant Major Charles Emerick (hinten im Teilprofil zu sehen) und Jean Stock.
Zu den Druckerzeugnissen gehörte auch das Mitteilungsblatt des Aschaffenburger Oberbürgermeisters, über das Verordnungen und Informationen verbreitet wurden. Die erste Ausgabe ist ein hervorragendes Beispiel für Jean Stocks politische Rhetorik.
Als vorbildlicher und überzeugter Demokrat wird Jean Stock zum Landrat und Regierungspräsident von Unterfranken berufen, so dass Vinzenz Schwind als Oberbürgermeister seine Nachfolge antritt. Im Bayerischen Landtag arbeitet er an der Konstituierung der Bayerischen Verfassung mit. Bereits bei den ersten Verfassungsdebatten erweist er sich als ein engagierter Verfechter einer wehrhaften Demokratie, die er vor allem von Rechts bedroht sieht. Hier sein Mitgliedsausweis aus dieser Zeit.
Nach anfänglicher Zurückhaltung Bayerns an einer länderübergreifenden Verfassung mitzuarbeiten, ergeht Ende August 1948 doch schließlich an Jean Stock und seine parlamentarischen Kollegen die Abordnung als Mitglieder des „Parlamentarischen Rates“ in Bonn eine Verfassung (Grundgesetz) für die zu gründende Republik zu erarbeiten. Stock war für diese Aufgabe aufgrund seiner Erfahrung in Bayern prädestiniert.
Eine Mitschrift eines Wortgefechts, ausgetragen zwischen Konrad Adenauer und Jean Stock. Wie aus dem Dokument ersichtlich wird, lag Jean Stock während seiner Arbeit am Grundgesetz sein besonderer Fokus auf dem künftigen Wahlrecht und der Zusammensetzung der Kammern. Als Schriftführer war Stock Garant für den basisdemokratischen Ablauf der Diskussionen und Entscheidungen im Parlamentarischen Rat.
Im Parlamentarischen Rat ist Jean Stock zunächst Schriftführer und Mitglied im Ältestenrat und im Ausschuss für Wahlrechtsfragen. Seit Oktober 1948 arbeitet er im Hauptausschuss mit. Eines der ersten Dokumente, das er mit erarbeitet hat, ist dieser Präambel-Entwurf vom 12. Oktober 1948. Bei der Annahme des Grundgesetzes am 8. Mai 1949 ist Jean Stock derjenige, der jedes einzelne Mitglied zum Votum aufruft und es vermerkt.
Nach seiner Arbeit im Parlamentarischen Rat arbeitete Jean Stock in den 1950er Jahren unermüdlich für die Kommunalpolitik in Aschaffenburg und weiterhin in München. Ein Faltblatt zur Wahl 1958 lässt erkennen, dass er die lokalpolitischen Ziele präzise in den Blick nahm.
Eine Wählerschaft, die aufgrund seines Engagements für die lokalen Turn- und Sportvereine besonders anzusprechen war, waren die Aschaffenburger „Sportler“.
Höhepunkt einer Karriere: Im April 1958 wird Jean Stock für seine Verdienste für den Staat das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Jean Stock als sichtbar zufriedener Träger des Bundesverdienstkreuzes 1957.
Verleihungsurkunde an Jean Stock, unterzeichnet von Bundespräsident Theodor Heuss, mit dem er zuvor im Parlamentarischen Rat zusammengearbeitet hatte.
Das Verdienstkreuz aus dem Nachlass der Familie Stock.
Nach Jean Stocks Tod am 13. Januar 1965 schaltete das von ihm gegründete Main Echo diesen Nachruf von Ernst Pfeifer, dessen Schlusswort Stocks Vermächtnis pointiert zusammenfasst.
Im Nachgang zum diesjährigen 75sten Jubiläum des Grundgesetztes wird über Jean Stock im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Rhein-Main liest das Grundgesetz“ (https://www.krfrm.de/project/75-jahre-grundgesetz/) auch an der Aschaffenburger VHS am 01. Oktober 2024 um 19 Uhr ein Vortrag von Julius Goldmann zu Jean Stock stattfinden. Nähere Informationen finden Sie hier: