Ein zeitgenössischer Baubericht von Alfred G. Andres, der 1872 in der Zeitschrift des Bayerischen Architekten- und Ingenieurvereins erschien:
„Mit dem Bau der Eisenbahnlinie Gemünden – Elm wurde auf bayerischer Seite im Mai 1869 begonnen. Drei Jahre später, am 1. Mai 1872 wurde die Strecke bereits in Betrieb genommen.
Das bemerkenswerteste Objekt auf dem bayerischen Teil (der Streckenabschnitt von Obersinn bis Gemünden a. Main war/ist 21,9 km lang) dieser Bahnstrecke ist das vom königlichen Sections-Ingenieur Carl Hettig aus München geplante „Sinntal-Viadukt“ mit vier Pfeilern und fünf Bögen. Die Bahnlinie überschreitet hinter Obersinn und nachdem sie mit einer Steigung von 1:100 und einer Kurve von 583,7 m Halbmesser den 684 m langen und 21,6 m tiefen Hohenleitener Einschnitt passiert hat, das Sinntal in gerader Richtung und horizontaler Lage in einer Höhe von 29,77 m über dem Niedrigwasserspiegel der Sinn.
Die Brücke selbst ist 171,6 m lang und hat – wegen der Durchführung der Straße und den Hochwasserverhältnissen der Sinn – eine gesamte Lichtweite von ca. 70 m.
Die Brücke führt die Bahnlinie in einen 321 m langen Tunnel durch den entgegenliegenden Ruppertsberg direkt zum Bahnhof Jossa.
Zum Bau des Viaduktes selbst ist folgendes anzumerken:
Der Baubetrieb des „Sinntal-Viadukts“ lässt drei Perioden unterscheiden: Die der Fundation (Herbst 1869 und Frühjahr 1870, der Spatenstich war am 17. Juli 1869), des Aufbaues bis zur Kämpferhöhe (Sommer 1870), und die des Aufbaues von der Kämpferhöhe bis zum Planum (Baujahr 1871). Das Viadukt wurde Ende September 1871 fertiggestellt.
Die Gründung der Fundamente der Pfeiler und Widerlager machte keine Schwierigkeiten, denn in einer durchschnittlichen Tiefe von 3,5 m unter der Talsohle traten überall waagrecht gelagerte Schichten von Bundsandstein auf. Ein künstliches Fundament war daher nicht notwendig. So sind die Fundamente der Pfeiler – je nach Höhenlage der den Talgrund bildenden Felslagen – aus 3 bis 5 Schichten Quadermauerwerks gebildet; die der beiden Widerlager bestehen aus einer 1,5 m mächtigen Schicht Bruchstein.
Zur Verkleidung der Pfeiler sowie zur Herstellung der Gewölbe und der Widerlagerecken wurden Hausteine von 41 bis 73 cm Höhe, zur Verkleidung der Widerlagerflächen und der Gewölbeübermauerung Vorsetzsteine von 23 bis 29 cm Höhe verwendet.
Als Baumaterial wurde der Bundsandstein, welcher aus Brüchen in der nächsten Nähe und aus dem angrenzenden Hohenleitener Einschnitt gebrochen und aus den Findlingen, welche in den benachbarten Staats- und Privat-Waldungen zu Tage lagen, verwendet.
Zur Verkleidung der vier Pfeiler und der beiden Halbpfeiler, für die Gewölbe und deren Übermauerung, sowie für das Hauptgesims und die Brüstung wurden Findlingssteine von rein weißer Farbe verwendet. Diese „weißen Sandsteine“ wurden aus den 18,5 km entfernten Freiherrlich Thüngen’schen Waldungen im Schondratal gebrochen.
Für den Mörtel wurde Zement aus Karlstadt und Schonungen, der ausgezeichnete magere schwarze Kalk der Brüche Hösbach bei Aschaffenburg und für das freistehende Mauerwerk magerer Kalk aus den umliegenden Kalkbrennereien benutzt. Der Sand, ca. 1.500 cbm, wurde aus dem Aushub der Baugruben durchgeworfen, der übrige Bedarf aus dem Flussbett der Sinn geschöpft.
Mit Ausnahme der Lieferung der weißen Findlingssteine, dann der Herstellung des Arbeitsgerüstes, welche an Unternehmer vergeben waren, wurden sämtliche Arbeiten auf Regiekosten im ‚Arbeiteraccord‘ mit 14-tägigem Abschluss ausgeführt. Hierzu gehörte auch die Herstellung eines großen Teiles des Werkzeuges, wie der Rollwägen, Steintransportwägen, Radbarren, Mörtelpfannen, Mörteltragen, der Krahnenwägen, Steintragen, Steinkarren, Steinschalen usw..
Größere Störungen beim Baubetrieb verursachte wiederholt das in bedeutender Höhe und mit überraschender Schnelligkeit eingetretene Hochwasser, welches den Bauplatz 1,2 m bis 1,6 m hoch überschwemmte und jedes Mal die Bergung der großen Holzvorräte, die Sicherung des Mauersandes, der Hilfsbahnstege usw. notwendig machte.
Der Ausbruch des deutsch-französischen Krieges verzögerte den Baufortschritt am Viadukt im hohen Maße. Wegen der Unterbrechung der Kalkbeifuhr in Folge der Einstellung des Gütertransportes auf Bahnen mussten die Arbeiten auf die Dauer des Monates August 1870 fast gänzlich eingestellt werden. Bis die nötige Zahl von Arbeitskräften einigermaßen wieder angesammelt werden konnte, war der Spätherbst herangekommen.
Es sei hier als Beispiel für die hohe Qualität und Sorgfalt der Arbeiten angemerkt, dass z.B. bei der Herstellung der Brückengewölbe eine ganz besondere Aufmerksamkeit auf das richtige Einschlagen der Glockenlöcher verwendet wurde. Ort und Richtung derselben wurden rechnerisch so bestimmt und auf Schablonen dargestellt, dass jeder Stein freihängend genau die Lage annahm, in welcher er im Bogen wirklich zu sitzen kam.
Am 13. August 1871 wurde der letzte Verschlussstein in die Gewölbe des Viaduktes versetzt, dessen Vollendung gegen Ende September desselben Jahres erfolgte.
Die Gesamtbaukosten des Viaduktes beliefen sich auf 375.000 Gulden.“
Text: Alfred G. Andres
Quelle: Zeitschrift des Bayerischen Architekten- und Ingenieuervereins Band IV. 1872,
Beitrag „Der Sinnthal-Viaduct auf der Gemünden-Elmer Bahnlinie von Franz Weikard, königlicher Abtheilungs-und Sections-Ingenieur in Gemünden